„Wohlfühlen“ war der Aufdruck des deutschen Kreuzfahrtschiffes, auf das ich blickte. Na klar, wie soll man sich bei den Umständen einer Kreuzfahrt, auf der das ganze Leben inklusive ist, auch nicht wohlfühlen, dachte ich. Das letzte, was ich je tun würde, dachte ich weiter.
Ich saß am Hafen Lissabons auf einer Bank, in meiner Hand ein kaltes portugiesisches Bier. Und ich fragte mich, ob ich mich mit meinem Reisestil überhaupt wohlfühlen würde.
Es war der 25.Oktober 2022, der Abend vor meinem Abflug nach Südamerika. Eine Reise in die ferne Welt und in eine ungewisse Zeit lag vor mir. Noch nie hatte ich die Grenzen Europas überschritten. Nun würde ich in eine Region der Welt reisen, die keiner aus meinem engeren Umfeld je bereist hat.
Über die ich so wenig wusste, dessen Sprache ich nichtmal wirklich sprechen konnte. Über die es so viele Vorurteile gibt.
Das Verrückteste an der Sache aber war, ich würde all das ganz alleine tun. Ein Plan, der sich lange gut anfühlte und mir in diesem Moment auf einmal so naiv erschien.
Es ist wie so häufig im Leben. Was sich in der Theorie gut anhört oder gut anfühlt, kann in der Praxis anders ausgehen.
Um es vorwegzunehmen, die Intention dieses Artikels ist keineswegs jene, ausschließlich all die Vorteile hervorzuheben und zu betonen, wie geil es doch ist, alleine zu reisen. Wer meine Reise verfolgt hat, der weiß um all die schönen Erlebnisse, die ich auf meinem Weg hatte, die nur durch diese Art zu reisen, ermöglicht wurden. Es ist mir auch ein Anliegen, die andere Seite zu beleuchten, auf all die schwierigen Momente einzugehen, die es zweifelsfrei gab und somit ein ehrliches Fazit meines Reisestils abzugeben.
Alles basiert dabei ausschließlich auf meinen Erfahrungen und Empfindungen und ist somit auch nur meine Wahrheit über das Alleinreisen.
Eine Angst und ihre zwei Fragen
Das Alleinsein erscheint als eine immer präsente Gefahr. Und so äußert sich bereits allein die Angst vor dieser. Vielleicht vereint uns Menschen keine Angst mehr als jene vor dem Alleinsein. So ist sie die Basis vieler Beziehungen und beeinflusst uns massiv in unserer Lebensplanung und unseren Entscheidungen.
Wenn ich auf die Vorbereitungen meiner Reise zurückblicke, dann ist die Entscheidung, alleine loszuziehen, das einzige gewesen, auf das ich mich festgelegt hatte. Weit bevor ich wusste, wann es losgehen würde und wohin es mich ziehen sollte.
Nicht, dass ich von Natur aus ein Einzelgänger bin oder jede Form der Gesellschaft meiden wollte. Es war mehr ein Gefühl, das mir sagte, dass ich das Abenteuer, nach dem ich suchte, in seiner Gänze nur dann erleben kann, wenn ich alles mir Bekannte aus meinem Leben daheim lasse. Es war mir zudem aus irgendeinem Grund wichtig, nicht zu wissen, wo genau ich landen würde und vor allem, wie lange ich weg sein würde. Ich wollte mich bewusst treiben lassen von allem, was mir über den Weg läuft.
Gleichwohl muss ich rückblickend gestehen, dass ich mich unbewusst intensiv auf das Alleinreisen vorbereitet hatte. Mehr als ich während meiner Reise dachte, es getan zu haben. Ich hörte mir zahlreiche Podcasts an, folgte Instagram-Konten von reisenden Influencern, die im Rahmen ihrer Motivationsposts das Alleinreisen als ein magisches Dasein beschrieben. Zu einer weitaus größeren und ehrlicheren Inspiration wurde Daniel Schreibers Buch „Allein“, das viele wertvolle Erkenntnisse über das Alleinsein hervorbrachte.
Wenige Monate vor meiner Reise fuhr ich in den Frühlingsferien eine Woche alleine in den Schwarzwald in ein Apartment in den Bergen. Die anfängliche Befürchtung vor der Langeweile wandelte sich jeden Morgen aufs Neue um in unzählige Ideen, wie ich meinen Tag gestalten könnte.
Ich ging in den Bergen laufen oder, wenn mir das zu anstrengend wurde, einfach spazieren. Am Abend kochte ich mir etwas, oder aber, wenn ich keine Lust hatte, ging ich in einem netten Restaurant etwas essen. Ich fuhr mit dem Auto die Straßen des Schwarzwaldes auf und ab und genoss die Aussicht auf die Berge. Ich ging ins Schwimmbad oder ins Kino. Die Tage im Schwarzwald, für die ich keine Pläne hatte, wurden alles, aber sie wurden nicht langweilig. Heute weiß ich, dass jener Urlaub als eine Art Generalprobe eine zentrale Bedeutung für meine Reise hatte.
Ich wusste also, dass ich mich unterwegs mit mir alleine beschäftigen kann und welche Vorteile es haben kann, im Urlaub alleine zu sein. Was ich nicht oder zu wenig bedacht hatte, waren die Lebensumstände. Während ich mich im Schwarzwald zwar an Berge und den Akzent der Menschen gewöhnen musste, gab es keine größeren Anpassungsprobleme.
Aber wie würde es sein, am anderen Ende der Welt, in Ländern mit einer fremden Sprache und einer völlig anderen Kultur, auf sich allein gestellt zu sein?
Des Weiteren machte ich mir viele Gedanken, ob und wie ich wohl Menschen kennenlernen würde. Denn auch, wenn ich bewusst alleine loszog, entsprach es mit Nichten meiner Vorstellung, die gesamte Zeit über alleine zu bleiben. Viel mehr war es einer der Gründe gewesen, alleine zu reisen, um freier für neue Kontakte zu sein.
Wie würde ich andere Menschen kennenlernen, mit denen ich auch gemeinsame Abenteuer erleben würde?
Beide Fragen waren mir am Hafen in Lissabon stets präsent. Fragen, die vorerst ohne Antwort bleiben mussten. Ich wusste, dass nur die Reise selbst die Antwort geben wird.
Heute habe ich die Antwort. Sie lässt sich jedoch nicht in einen Satz verpacken. Wenngleich das weniger an ihrer Länge liegt, als an ihrer mangelnden Klarheit. Sie ist so vielfältig, dass sie mich dazu verleitet hat, diesen Artikel zu verfassen.
Noch bevor ich in Südamerika ankam, wurde alles auf eine große Probe gestellt.
Die Strapazen auf meinem mehrtägigen Gabelflug über die USA nach Santiago de Chile zeigten mir auf brutal eindeutige Weise, wie schwer es sein würde, mit seinen Problemen in einem fremden Land ganz auf sich allein gestellt zu sein.
Der Kulturschock in den ersten Tagen in Chile öffnete mir dann die Augen, dass der Anpassungsprozess an das Leben hier von längerer Dauer sein würde, wenn ich mich wirklich drauf einlassen wollte.
Inspirationen
Was ich schnell merkte, war, wie unerwartet selten ich eigentlich wirklich alleine war. Ich entschied mich aus Preisgründen, aber vor allem aus Gründen der Kontaktmöglichkeiten bei der Suche nach Unterkünften für Hostels.
Gleich in meinen ersten Unterkünften war es durch die vielen Zimmerpartner, denen man ständig über den Weg lief, eine kleinere Kunst gewesen, mit anderen Menschen in Gespräche zu kommen, als diese zu meiden.
Ich bin nicht der Typ, der aktiv auf andere Menschen zugeht. Meine introvertierte Art hielt mich immer erst zurück, verhalf mir gleichzeitig aber immer, die Leute erst zu scannen und die für mich richtigen Menschen zu finden. Sobald ich welche fand, ist von meiner Introvertiertheit meist nur noch wenig zu sehen gewesen. Ein klassischer Fall von einem extrovertierten Introvertierten also.
Nicht immer gelingt dies. Und so hatte ich mich in einigen Menschen, die mir anfangs sympathisch und mit mir auf einer Wellenlänge zu sein schienen, auch getäuscht. Allerdings betrifft das wirklich nur eine sehr geringe Anzahl an Menschen.
Insgesamt betrachtet habe ich auf meinem Weg eine Vielzahl wirklich toller Menschen getroffen und durfte einige von ihnen besser kennenlernen.
Was mit der Zeit auffallend war, war, dass ein Großteil der Gespräche, die ich mit anderen Reisenden führte, schnell sehr tiefgründig wurde. Oft wirkte es so, als hätte man bestimmte Phasen des Kennenlernens einfach übersprungen.
Die vereinende Gemeinsamkeit, aus seinem Leben in der Heimat für eine bestimmte oder auch unbestimmte Zeit auszusteigen und um die Welt zu reisen, verschafft eine Basis, die ein rein oberflächliches Gespräch kaum zulässt.
Oftmals war bei den Menschen der Wunsch, auszusteigen, sogar viel größer als jener, die Welt sehen zu wollen. Wenn ich genau überlege, war der Großteil der Menschen auf der Suche nach Veränderung.
Ich traf auf Menschen, die aus langen Beziehungen kamen und auf solche, die ihren Job aufgaben, weil er nicht erfüllend für sie war und auf andere, die aus anderen Gründen ihrem Leben eine andere Richtung geben wollten.
Wieder und wieder kam es zu unfassbar inspirierenden Konversationen über das Leben, auf das jeder seine eigene Perspektive hatte.
Die für mich vielleicht wertvollste Erkenntnis über das Alleinreisen bekam ich während dieser Gespräche: Da ich mit niemandem unterwegs war, der mich aus meinem Leben und meiner Vergangenheit kennt, hatte auch niemand eine Erwartungshaltung an mich. So konnte ich jeden Tag einfach sein, wer und wie ich will. So, wie nie zuvor in meinem Leben, konnte ich einfach ich selbst sein.
Die meisten Menschen, mit denen ich meine Zeit verbrachte, waren dabei ebenfalls Alleinreisende gewesen. Nicht, dass dies bei der Auswahl an potenziellen neuen Kontakten ein Kriterium für mich war. Eher waren die Alleinreisenden meist die einzigen Menschen, zu denen es einen echten Zugang gab. Ich beobachtete bereits in den ersten Wochen meiner Reise stets, dass jene Menschen, die gemeinsam mit anderen Menschen reisten, wenig Offenheit zeigten, mit anderen in Kontakt zu treten. Warum auch, sie hatten ihr Umfeld ja bereits.
Niemandem habe ich das verübelt. Auch ich war über teils große Zeiträume mit Menschen, die ich unterwegs traf, gemeinsam weitergereist. Und auch ich machte die Erfahrung, dass ich während dieser Phasen nicht annähernd so offen gegenüber anderen war.
Diese Phasen erinnerten mich daran, wie froh ich war, in der fernen Welt mal eine Komfortzone gefunden zu haben. Gleichzeitig erinnerte mich das daran, dass diese Komfortzonen erst entstehen konnten, weil ich einst meine Komfortzone verlassen hatte. Diese Erkenntnis verschaffte mir eine große Hilfe bei dem wohl schwierigsten Thema des Alleinreisens:
Abschiede
Wann immer ich Menschen gefunden hatte, die meine Energie teilten und mit denen ich gemeinsam Zeit verbrachte, entstanden besondere Erinnerungen. Denn all diese Menschen hatte ich am anderen Ende der Welt kennengelernt auf einer Reise, auf der alles, was mir widerfuhr, doch so zufällig erschien.
Es entstanden Abenteuer, die aus absoluter Planlosigkeit entstanden, Momente, die sich tatsächlich magisch anfühlten. Mit Menschen aus aller Welt, die ich nur durch Zufall auf meinem Weg traf.
Alle Freundschaften, die ich unterwegs schloss, waren auf ihre Art und Weise besonders. Und doch wurden alle Erlebnisse auch mit der Erkenntnis begleitet, dass die Zeit mit diesen Menschen begrenzt sein würde.
Der Reisestil, die Reiseziele, die verfügbare Zeit. So wie die Wege sich mit denen anderer kreuzten, so gab es auch immer wieder Gründe, warum sie sich wieder trennten. Dies war vor allem vor dem Hintergrund nicht leicht, dass die Menschen, die ich traf, ja nicht alle aus Hamburg kommen. Sie wohnen weit weg, auf der Welt verteilt und so gehörte es zur Wahrheit dazu, dass jeder Abschied von einer Person gleichzeitig auch der letzte von ihr gewesen sein kann.
Gleichwohl sind die Erinnerungen an die Abenteuer und die gemeinsame Zeit so stark, dass sie uns weiter verbinden werden, auch wenn der alltägliche Kontakt aufgrund der verschiedenen Leben nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.
Die Einsamkeit und ihre Chancen
In der Regel waren Abschiede zu allem Überfluss natürlich auch mit einer wiederkehrenden Phase des Alleinreisens verbunden. Ich verabschiedete mich von Menschen, und reiste alleine weiter.
Die Zeiten, in denen ich tatsächlich alleine war, waren oftmals alles andere als einfach. Sich in Südamerika alleine zurechtzufinden, entspricht bei dem chaotischen Leben einer großen Herausforderung. Und die Tatsache, dass ich es versäumte, spanisch so ausreichend zu lernen, dass ich problemlos in Konversationen mit Einheimischen treten konnte, verstärkten diese erheblich.
Aber mal abgesehen davon, die Herausforderungen alleine bewältigen zu müssen, waren die Zeiten des Alleinreisens natürlich auch mit Einsamkeit verbunden.
Ich erinnere mich an Momente, in denen ich mich verloren fühlte, die es zweifelsfrei gab. Allein zu sein am anderen Ende der Welt in dieser doch so speziellen Kultur, fühlte sich auch nicht immer gut an. Auch gab es immer wieder mal Phasen, in denen ich keine Menschen fand, mit denen ich meine Zeit verbringen konnte oder wollte.
So entstanden hin und wieder schwierige Phasen der Einsamkeit und des Zweifelns, die mich mit der Zeit zugleich zwei Dinge lehrten.
Zum einen folgten auf die schwierigen Momenten paradoxer Weise immer die besten. Rückblickend erscheint es so, als musste ich für die positiven Erlebnisse erst durch negative gehen. Auf Dunkelheit folgte Licht, so war es tatsächlich.
Ich lernte mit der Zeit, geduldig zu bleiben, meinen Weg weiterzugehen und ihm zu vertrauen.
Zum anderen entdeckte ich immer wieder aufs Neue die Chancen des Alleinseins.
Wenn ich an einen neuen Ort kam, stellte ich mich erstmal darauf ein, hier alleine zu sein. Ich konnte ja schließlich nie damit planen, Menschen zu treffen, mit denen es passt. Auf diese Weise konnte ich schwer enttäuscht werden, wenn ich tatsächlich keine traf. Dann unternahm ich eben Dinge alleine.
So war es mir immerhin möglich, einen Tag ausschließlich so zu verbringen, wie ich es möchte.
Wann stehe ich auf? Wo gehe ich etwas frühstücken? Was schaue ich mir heute an? Wohin reise ich als nächstes? Zu jeder Sekunde konnte ich einfach das machen, worauf ich Bock hatte, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.
Zu einem echten Hobby unterwegs wurden mit der Zeit Spaziergänge ohne Ziel, auf denen ich Podcasts oder Musik hörte und mir einfach die Natur oder die Stadt anschaute, in der ich unterwegs war. Die Tage, die ich alleine verbrachte, wurden mit der Zeit so wertvoll, dass ich sie lieben lernte und sie nicht selten denen, an denen ich Gesellschaft hatte, vorzog.
Ein Reisestil, der verändert
Um eine wichtige Frage zu beantworten: Ja, ich würde jedem, der überlegt, alleine loszuziehen, raten, es zu tun. Mit Sicherheit ist nicht jeder dafür gemacht aber auch ich habe anfangs wie auch zu Beginn meiner Reise sehr gezweifelt, ob es das Alleinreisen richtig für mich ist. Es erfordert Mut, vor allem den Mut, zu scheitern. Aber ich bin mir sicher, dass dieser immer belohnt wird, sobald er gezeigt wird.
Rückblickend bleibt zu sagen, dass ich die Auswirkungen meiner damaligen Entscheidung, alleine in die Welt hinaus zu ziehen, selbst in diesem ausführlichen Artikel nicht gänzlich erläutern konnte. Die Möglichkeiten des Alleinreisens haben meine Reise geprägt, sie haben mich geprägt. Alle positiven, wie auch die negativen Erfahrungen haben jeden Tag einen Einfluss auf mein Leben, auf meine Entscheidungen, auf mein Wohlbefinden.
Ich erkannte nach meiner Rückkehr ins Leben in Deutschland, dass die Angst vor dem Alleinsein zum Großteil das Ergebnis eines gesellschaftlichen Drucks ist, nachdem das Glück des Lebens sich doch nur in Zweisamkeit erfüllen lässt. Meine Reise und die Geschichten anderer Menschen verhalfen mir, zu erkennen, dass dies genauso eine Illusion sein kann, die einige in die Irre führt.
Wenn die Angst vor dem Alleinsein mir begegnet, antworte ich ihr mit all meinen Erlebnissen von meiner Reise, mit all den Dingen, die mir durch das Alleinsein ermöglicht wurden, mit all den Menschen, die ich kennenlernen durfte. Ich genieße es, die Dinge in meinem Leben alleine entscheiden zu können und vertraue auf meine Intuition, egal ob es um große Entscheidungen über mein Leben geht oder um solche, die nur die Gestaltung eines Tages betreffen.
Das Wichtigste, was ich auf meiner Reise gelernt habe: Wenn du lernst, allein zu sein, ohne dich einsam zu fühlen, lernst du, frei zu sein.