Und sein Name ist Flavio

Donostia, España 

 

Es war eine der einkalkulierten Herausforderungen, und doch war sie in ihrem Maße nicht absehbar. Steuert man ein Auto ohne Klimaanlage in Richtung Südeuropa, so verschwendet man im Vorfeld zwar hin und wieder Gedanken an die hohen Temperaturen, denen man auf den Straßen ausgeliefert sein würde. Die sich aber umgehen ließen, wenn man die Fahrzeiten nur den Tagestemperaturen anpasst. Für den Fall aber, dass Schatten keinen Schutz mehr bietet, war ich nicht vorbereitet. 

La Rochelle, France

Auf dem Weg von Aumale an die Atlantikküste Frankreichs konnte den Temperaturen noch mittels offener Fenster und einiger Pausen entgegengewirkt werden. Und so entschied ich mich mich, die acht Stunden und 550 Kilometer lange Fahrt bis an die Küste durchzufahren. Idyllische Dörfer, kilometerweites Nichts und Kreisverkehre, die in ihrer Menge nicht mitzuzählen gewesen wäre. Dazu rauf und runter laufende Roadtrip-Playlists, deren Songs bis in die 60er Jahre zurückführten und Teil der Motivation wurden, ohne weiteren Zwischenstopp durchzufahren.

La Rochelle war der Zielort. Aus dem simplen Grund ausgewählt, da er ausreichend südlich lag, um in Richtung Spanien Strecke zu machen, gleichzeitig aber auf dem Weg dorthin ausreichend potenzielle Orte entlang der französischen Atlantikküste offen ließ. Ansonsten hatte ich mich bei der Einfahrt in die Hafenstadt nicht mit La Rochelle auseinandergesetzt und entschied mich an einer Ampel mit viel zu langer Rotphase für den erstbesten in der Park4Night App angezeigten Parkplatz. 

 

Es war nun das erste echte Etappenziel, das ich erreichte. Der Antlantik und seine frische Meeresluft, die ich spürte, als ich zum Wasser ging, das aufgrund der Ebbe weit vom Ufer entfernt war. 


Während ich mit klarem Ziel die Reise nach Teneriffa auch als Mittel zum Zweck angetreten war, befand sich Eva gemeinsam mit ihrem Hund Pepe seit einigen Wochen auf Europa-Tour ohne festes Ziel und auf unbestimmte Zeit. Dass sich unsere Wege auf dem Parkplatz in La Rochelle kreuzten, wurde für mich und mein Auto auf Anhieb in vielerlei Hinsicht zum Glücksfall. Beginnend damit, dass sie mir ihre überschüssige Isolierfolie für die Fenster und schließlich meinem Auto einen Namen schenkte. 

Flavio - ein Name, der beim Anblick des Nummernschilds keiner Raketenwissenschaft bedarf und dennoch treffender nicht möglich scheint. 
Als wir Evas Polo aus einer Reihe an KI-Vorschlägen „Trudi“ tauften, gab es auf dem kleinen Parkplatz in La Rochelle nun also zwei Autos mit echter Persönlichkeit. 

La Rochelle selbst war den zweitägigen Aufenthalt wert. Eine nette, kleine Hafenstadt mit einem an Segelbooten überladenen Hafenbecken und einer Altstadt, die durch Kopfsteinpflaster, Arkaden und offenen Plätzen inklusive eines kleinen Jahrmarktes in ihrem Charme zu überzeugen wusste. Die anliegende Strandpromenade komplettierte die Vielfältigkeit der Stadt und lud ein für ein Bierchen zum Sonnenuntergang. 

Íle d`Oléron / Bordeaux

Vielleicht hatte ich mir in den letzten Wochen zu oft gutes Wetter gewünscht. Eine Hitzewelle wollte ich zumindest nicht auslösen. Temperaturen weit über 40 Grad in Spanien und Südfrankreich zehrten an den Extremgrenzen des Klimas. Genau in dem Gebiet, auf das ich auf meinem Weg nun immer weiter zusteuerte. Da wir beide Richtung Süden wollten, fuhren Eva und ich gemeinsam weiter und flüchteten dabei geradezu vor den Temperaturen auf die nächste Insel. Auf Íle d`Oléron war es in der Nacht zwar angenehm, bereits in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages machte die stehende Luft bei knappen 40 Grad bereits das Atmen schwer. Wir räumten das Feld und zogen weiter. Eva, um Pepe und sich selbst vor einem Kollaps zu bewahren, mit aufgedrehter Klimaanlage irgendwohin und ich, der über jenes Luxusgut nicht verfügte, zu Mc Donalds, wo sich mein Tagesaufenthalt wie ein Unterschlupf anfühlte. 

 

Am selben Abend hatte ich das erste mal eine Unterkunft in einem kleinen Dorf rund 30 Minuten vor Bordeaux. Über Airbnb wohnte ich hier bei Richard, mit dem ich kommunizierte ohne sich verständigen zu können und seiner Frau, dessen Namen ich nicht weiß, weil weder Richard sie noch sie sich selbst vorstellte. 

 

Bei 42 Grad im Schatten beschränkte ich meine geplante Stadtbesichtigung von Bordeaux auf einen Spaziergang am Quais de Bordeaux, der Uferpromenade entlang des Rive Gauche. Der aber ausreichte, um die Atmosphäre der Stadt ein wenig aufzusaugen und sie in guter Erinnerung zu behalten.

 

Nach einer abendlichen Abkühlung am Strand von Arcachon überfiel mich in der Nacht dann ein stürmisches Gewitter inklusive Sandsturm und forderte Flavio regelrecht als Festung heraus. 

Donostia, España

Von der Hitzewelle weiterhin getrieben verschlug es mich ohne weitere Ziele in Frank- reich im nächsten Step über die Landesgrenze hinein nach Spanien. 

Als ich auf meiner Reise vor knapp drei Jahren in Donostia-San Sebastian war, blieb mir vor allem die Bucht von La Concha in Erinnerung. Und so wurde ihr Stadtstrand zur ersten Anlaufstelle als Luxuspaket für Reisende mit Dusche und Premium-Ausblick. 

 

Den Rest meines Aufenthaltes in Donostia verbrachte ich dieses Mal in der Berglandschaft rund um die Küstenstadt. Gemeinsam mit Eva und Pepe, die ich hier nun wieder traf. Und natürlich Trudi, von Eva umgebaut zum vielleicht kleinsten Wohnmobil auf Europas Straßen. In dem sie jedoch besser ausgestattet war, als ich zu Hause. 

In den letzten Tagen war hier eine harmonische Reisegruppe entstanden. Wer sagt, dass sie nur aus Menschen bestehen kann. Trudi, Flavio, Pepe, Eva und ich jedenfalls nicht. 

Und so zogen wir noch einmal gemeinsam weiter ein Stück ins Innenland Spaniens in die Nähe von Vitoria-Gisteiz, ehe sich die Wege unserer Reisen trennten. 

Meiner führte nun weiter in Richtung Portugal und sollte einige Herausforderungen mit sich bringen. Für die ich aber stets gewappnet war. Denn ich bin mit einem Peugeot 205 unterwegs. Und sein Name ist Flavio.