
Zeitraum: 19.2. - 13.3.
50 Todesopfer, über 500 Verletzte. Und eine Dunkelziffer, die vermutlich weitaus höher ist. Denn die letzten veröffentlichen Zahlen liegen über zwei Monate zurück.
Es ist die traurige Bilanz landesweiter Proteste in einem Land, das in der Vergangenheit immer wieder durch Kriege, interne Konflikte und brutale Diktaturen erschüttert wurde.
Ein Land, das mit Panflöten, Ponchos und Alpakas verbunden wird, versinkt in diesen Tagen im Chaos. Peru, die Wiege der Inkas, durchlaufen von überwältigender Natur inmitten der Anden und dem Amazonas, hat sich in ein Pulverfass verwandelt.
Nicht zuletzt das Auswärtige Amt rät Touristen von einer Reise nach Peru aktuell ab. Als wir in La Paz waren, erreichte uns jedoch die Meldung, dass die Proteste zurückgehen. Dass Machu Picchu nach wochenlanger Schließung wieder geöffnet hatte. Fanny und ich entschieden uns, den Schritt zu wagen. Eine Entscheidung verbunden mit einem Risiko, die in einem Abenteuer endete, dass es mehr als wert war
Was geht hier eigentlich ab?
Ein kurzer Einblick: Peru hat einen hohen Anteil indigener Menschen. Es gibt hier 55 verschiedene indigene Völker. Sie alle vereint, dass sie zu den sozial schwachen Menschen im Land gehören und dass sie von der Politik des Landes in der Vergangenheit stets unterdrückt und diskriminiert wurden. So ist auch der Zugang zur Bildung und zu Wahlprozessen für die Indigenen keine Selbstverständlichkeit. 2021 kam es dann zu einem Novum.
Erstmalig wurde ein Präsident gewählt, der mit der etablierten Politik des Landes nichts am Hut hatte. Pedro Castillo wollte sich vor allem für die sozial schwächeren Menschen im Land einsetzen mittels einer neuen Verfassung, in der die Indigenen gleichberechtigt werden sollten.
Doch der neue Präsident hatte mit schwierigen Herausforderungen zu kämpfen. Während der Corona-Pandemie hatte Peru lange Zeit die höchste Sterberate weltweit und der Wirtschaft ging es schlecht. Zudem blieb der politische Gegner. Pedro Castillo war für viele Menschen ein Hoffnungsträger, zugleich in seinem Amt aber auch sehr unerfahren. Ihn belastete zudem, dass seine Partei “Peru Libre” keine Mehrheit im Parlament hatte. Als er im September 2022 aus der Partei austrat, hatte er kaum noch Rückhalt im Parlament und die Konservativen versuchten immer wieder, ihn seines Amtes zu entheben. Kurz vor der dritten Abstimmung über seine Amtsenthebung trat Castillo vor die Fernsehkameras und rief den Notstand aus. Das Parlament solle aufgelöst werden und es solle Neuwahlen geben.
Es war ein Staatsstreich durch den Präsidenten und das Parlament widersetzte sich. Auch das Militär spielte nicht mit und so wurde Pedro Castillo am 7.Dezember 2022 von seinem Amt enthoben und verhaftet.
Die Anhänger Castillos gingen daraufhin auf die Straße und protestierten. Und die Situation eskalierte, als die neue Übergangspräsidentin Dina Boluarte dagegenhielt. Auf ihre Anweisung hin wurden Protestanten seitens der Polizei und des Militärs verprügelt und beschossen.
Gebrochenes Wort
Da sich die Proteste hauptsächlich im Süden Perus abspielten, kam es für mich persönlich zu einem absoluten Novum auf meiner Reise durch Südamerika.
Es war längst zu meiner Challenge geworden, Südamerika zu bereisen, ohne in ein Flugzeug zu steigen. Jene Challenge musste ich nun aufgeben.
In den südlichen Regionen Perus kam es immer wieder zu Straßenblockaden, Grenzschließungen und insbesondere waren Busse das Ziel von Angriffen. Es wäre risikoreich und zugleich unverantwortlich gewesen, zu versuchen, mit dem Bus nach Peru zu fahren. Und so buchte ich das erste Mal überhaupt einen Flug.
Von La Paz aus ging es für Fanny und mich nach Lima, in die Hauptstadt Perus und mit 8.5 Mio Einwohnern zugleich größte Stadt des Landes.
Lima - die stadt an den klippen
Auf der 30- minütigen Fahrt vom Flughafen zum Hostel bekamen wir schonmal nicht den Eindruck, dass die Situation in Lima gefährlich war. Und erst recht nicht während unseres Aufenthalts. Wir waren im Stadtteil Miraflores gelandet, einem sichtbar wohlhabenden Viertel, das gleichzeitig das Zentrum des Tourismus in Lima ist. In den sichtbar viel Geld gesteckt wird, denn es war vergleichbar mit einer wohlhabenden europäischen Großstadt.
Drei Tage blieben wir in Miraflores. Ich war nun wieder am Pazifik und auch wenn Lima eine Küstenstadt ist, liegt sie auf rund 160 Metern Höhe. Direkt am Wasser liegt ein Highway, dahinter folgt ein 160 Meter hoher Hang, auf dem die Stadt erbaut ist. Die Klippen der Costa Verde - der grünen Küste - sind das Ergebnis von Millionen Jahren Erosion durch die Kräfte des Ozeans.
Wir genossen den Ausblick auf den Pazifik bei Sonnenuntergang, gingen fleißig shoppen und suchten täglich rund drei Stunden nach Restaurants für Mittag und Abendessen.
Das einzige, was während unserer ersten Tage in Peru wirklich nach Chaos aussah, war unser Hostelzimmer. Es sah aus, als hätten sich die Anschläge von Protestanten auf unser Zimmer konzentriert. Wir waren gemeinsam mit vier Israelis in einem Zimmer, die es nicht nur in puncto Ordnung nicht wussten, sich angemessen zu verhalten. Vor allem war es schwer, sich hier zu erholen. Sie kamen nachts um 2 ins Zimmer, schrien rum und lachten als würde ihnen die Welt gehören. Als ich den Schlaf tagsüber nachholen wollte, kam eines der beiden Mädchen ins Zimmer, legte sich auf ihr Bett und startete auf voller Lautstärke ein Ballerspiel.
Deutlich angenehmer war die Gesellschaft mit Olaf, einem 60- jährigen Deutschen, der stets für gute Laune sorgte.
Mit dem wir Beerpong spielten und einen Abend in einer Bar verbrachten, in der ihn als Stammgast der letzten Wochen das Personal persönlich kannte.
Fanny und ich wollten nun weiter nach Cusco, 1100km südlich von Lima gelegen, dem Dreh und Angelpunkt des Tourismus des Landes als Startpunkt für alle Touren nach Machu Picchu. Die Straßenblockaden im Süden des Landes sollen sich in diesen Tagen aufgelöst haben und so buchten wir einen Bus.
25h dauerte die Fahrt. Eine Zeit, in der man schonmal die Nerven verlieren kann. Und so war Fanny nicht gerade begeistert, dass sie sich von mir überzeugen ließ, mit dem Bus zu fahren, anstatt sich für den komfortablen Flug zu entscheiden. Aber sorry, noch einem Flug konnte ich nun wirklich nicht zustimmen.
Immerhin gab es auf der Fahrt viel zu sehen. Neben der Aussicht auf die Natur der Anden, die wir in Serpentinen durchquerten, gab es auf der Straße allerlei Hindernisse. Es waren Straßenblockaden der anderen Art, immer wieder verließen Felsbrocken unseren Busfahrer zu Slalommanövern und man dachte besser nicht daran, dass jene Brocken auch jederzeit von den Felswänden stürzen könnten.
Cusco
Bei unserer Ankunft in Cusco bekam man schnell ein Gefühl dafür, wo die Probleme des Landes liegen. Dass das gesamte Geld in die Hauptstadt des Landes, dem Wirtschafts- und Kulturzentrum Perus, gesteckt wird. Alleine der Zustand der Häuser und Straßen ließ darauf schließen, bedenkt man, das Cusco die zweitgrößte Stadt des Landes und Tourismus- Hochburg ist. Der Unterschied zu Lima war in allen Belangen greifbar.
Ebenso greifbar war der Tourismus-Schwund. Aufgrund der aktuellen Situation und der Reisewarnungen für Peru, wurden 95% der gebuchten Reisen von Touristen storniert. Besonders zu spüren bekamen wir es in unserem Hostel. Ein zweistöckiges Gebäude mit über 10 Mehrbettzimmern, einer hausinternen Bar, wirkte zeitweise, wie ein verlassener Ort.
Dass die Stadt vom Tourismus abhängig ist, bekamen wir indes beim Gang durch die Straßen Cuscos zu spüren. Es war Wahnsinn. Hunderte von Menschen kamen auf uns zu. Neben den verschiedensten Tour- Angeboten von irgendwelchen Guides von Tourismus-Organisationen bekamen wir alles Mögliche angeboten.
Sonnenbrillen, Ketten, Schmuck in allen Formen, selbst gemalte Bilder, Alkohol in allen Sorten, Massagen. Es wurde uns angeboten, die Schuhe geputzt zu bekommen. Und natürlich kam alle zwei Meter jemand mit einer Karte eines Restaurants auf uns zu. Es war unmöglich, hier für einen Spaziergang das Hostel zu verlassen und so taten wir es nur, um in Restaurants zu gehen, die wir im Vorfeld heraussuchen mussten, wie auch den kürzesten Weg dorthin.
Eine Frage blieb: Würde wir in Cusco etwas von den Protesten zu spüren bekommen? Wir waren jetzt im Süden des Landes, in einer der Regionen, in der es in den vergangenen Wochen zu heftigen Ausschreitungen gekommen war, für die vom auswärtigen Amt eine Reisewarnung ausgesprochen wurde.
Während wir von den Protesten in den ersten beiden Tagen nichts sahen, wurde diese Frage am Sonntag, den 26. Februar, endgültig beantwortet. Es war Karnevalszeit, und Karneval wurde hier gefeiert, wie ich es noch nirgendwo erlebt hatte. Eigentlich wollten wir nur zum Mittagessen raus auf die Straße. Wir kamen nach rund 1 1/2 h wieder. Ohne ein Restaurant gefunden zu haben und vor allem waren wir von oben bis unten klitschnass.
Wir hatten uns darauf eingestellt, dass wir uns in Cusco vor gewaltsamen Straßenkämpfen in Acht nehmen müssen. Was wir hier sahen, waren Menschen, die ausnahmslos mit Schaumspray, Wasserpistolen und Wasserbomben bewaffnet waren. Es war wie im falschen Film. Den Menschen war die gute Laune anzusehen und offenbar war es etwas, was die Menschen in diesem Land gebraucht hatten. Es erinnerte mich a die Menschen in Argentinien beim Sieg der Weltmeisterschaft. Einfach mal für einen Tag wieder das Leben feiern zu können.
Rainbow-mountain
Wir machten einen Tagesausflug zum Rainbow-Mountain Vinicunca südöstlich von Cusco. Es war eine geführte Tour, so wurden wir morgens in der Früh um 4 Uhr mit einem Kleinbus abgeholt. Zumindest sollten wir es. Die Organisation hatte uns vergessen und so wurden wir erst auf Nachfrage eine Stunde verspätet mit einem Auto abgeholt und zum Kleinbus hinterhergefahren. Wir fuhren mit dem Kleinbus bis auf 4500 Metern Höhe, ehe wir zu Fuß 4 km weit bis auf eine Höhe von 5200 Metern wanderten. Hier befand sich der Rainbow-Mountain. Es ist krass, was für einen Einfluss eine solche Höhe auf die körperliche Fitness hat. Ist man die Höhe nicht gewohnt, dann sind bereits ein paar hundert Meter eine große Anstrengung.
Die sieben Farben, die parallel verlaufen, geben dem Vinicunca den Namen des Rainbow-Mountains. Leider hatten wir an diesem Tage großes Pech mit dem Wetter und so war der Berg von Wolken verdeckt und von Regenbogenfarben wenig zu sehen. Das Highlight des Ausflugs wurden dann der Anblick und die Fotos mit den schick zurecht gemachten Alpakas.
Für unsere Tour nach Machu Pichhu folgt in den nächsten Tagen ein gesonderter Bericht.
Der weg in den norden
Da Fanny und ich beide in Richtung Norden Südamerikas weiterziehen wollten, führte der Weg zurück über Lima. Wieder buchten wir einen Bus und dieses Mal endete es in einem Desaster. Wir buchten den Bus Tage im Voraus online, um gute Plätze zu sichern. Als wir am Busterminal am Office der Organisation “Civa” die Tickets vorlegten, wurde uns mitgeteilt, dass der von uns gebuchte Bus gar nicht fahren würde. Dinge, die man wohl nur in Südamerika erleben kann. Für eine spätere Verbindung gab es noch zwei freie Plätze, wir buchten sie und mussten 3h am Terminal warten. Dass aus den 3h 5h wurden, konnte uns derweil nicht mehr überraschen.
Als wir im Bus saßen, wurde uns klar, warum ausgerechnet diese beiden Plätze in dem ansonsten vollständig ausgebuchten Bus noch frei waren. Das Fenster war vollständig zersplittert und wurde mit geschätzten 10 Rollen Tesafilm außen wie innen festgehalten.
Wir blieben vier weitere Tage in Lima und es tat gut, für diese Tage einfach mal kein Programm zu haben.
Über die kleine Stadt Piura führte der Weg im Anschluss weiter nach Mancora, einer kleinen Touristenstadt am Pazifik im Norden Perus. Hier würde unsere Reise durch Peru enden.
Auch in Mancora suchte man vergeblich nach Touristen. Umso größer war wohl der Zufall, dass ich hier auf Niklas traf. Er arbeitete als Volunteer in unserem Hostel und in einem ersten
Smalltalk stellten wir fest, dass wir an der selben Uni im selben Studiengang studiert hatten. Wenn wir es schon nicht in 3 Jahren in Lüneburg geschafft hatten, uns kennenzulernen, dann nun eben
in Mancora.
Viel positives gibt es aus Mancora nicht zu berichten. Ich fing mir durch Spaghetti Bolognese meinen zweiten Magen-Darm-Virus auf meiner Reise ein und verlor beim Baden im Pazifik meine Apple-Watch. Die meiste Zeit unseres Aufenthalts verbrachten Fanny und ich damit, eine Lösung zu finden, Mancora wieder zu verlassen. Unser gebuchter Bus in Richtung der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil wurde kurzfristig abgesagt. In Piura, dem Startpunkt des Busses, kam es zu sintflutartigen Regenfällen und schweren Überschwemmungen.
Als wir die Bilder aus Piura sahen, wurde uns etwas mulmig bei dem Gedanken daran, dass wir noch vor zwei Tagen selbst in Piura waren.
Wir fanden nach viel Rumfragerei ein andere Busunternehmen, dass in Mancora hielt und uns schließlich nach Guayaquil fahren konnte.
Generell bekamen wir in den drei Wochen in Peru nichts von Protesten mit. Wir hatten extremes Glück gehabt mit unserem Timing Peru zu bereisen. Das Land war in diesem Zeitraum frei von Protesten und zugleich so gut wie frei von Touristen.
Demut - Der blick zurück
"Was ist für Dich das Schwerste an Deiner Reise?”, fragte Fanny mich, als wir im Urlaubsort Montañita an der Pazifikküste Ecuadors einen Cocktail tranken. “Darüber muss ich nachdenken”, antwortete ich. Meine ersten Gedanken an die Einsamkeit, die einen als Alleinreisender immer wieder einholt, daran, dass mir in vielen Situationen mein Umfeld fehlt, wurden von Fanny unterbrochen, noch bevor ich sie sortieren konnte. Ich realisierte, dass sie einfach nur ihre Gedanken loswerden wollte.
“Das Schwerste für mich ist, all die armen Menschen zu sehen, jeden Tag. Denen es schlecht geht, die krank sind und einfach nur jeden Tag ums Überleben kämpfen.”
Bei allen Problemen, die auf einer Reise entstehen. Manchmal vergisst man als Reisender, wie privilegiert man eigentlich ist. Auch Fanny und mir geht es so. Wir dachten zurück an all die Situationen, in denen wir uns über Gott und wie Welt beschwerten. Beschwerden über Kleinigkeiten, die einen als Europäer, der von einem geordneten und wohlhabenden Leben verwöhnt ist, groß vorkamen. Wir hatten uns über so vieles aus dem Leben in Peru beschwert.
Für einen Moment schämten wir uns. Wie konnten wir in unserer Situation sauer sein auf Dinge, die in diesem Land in seiner schweren Krise passieren. Wie konnten wir sauer sein auf Menschen, die tagtäglich ums Überleben kämpfen.
Wir, die reichen Europäer, die in diesem Land einfach nur Urlaub machten.