
Zeitraum: 9.2.-18.2.
Es rummste, für einen Moment lang war ich weggetreten. In zügigem Schritttempo war ich mit dem Kopf gegen das Dach eines kleines Verkaufstandes gelaufen.
Keine Frage, Menschen über 1.80m leben in Bolivien auf eigene Gefahr.
Als ich nach dem Kauf unserer Bustickets am Ausgang des Büros noch gegen die Oberkante des Türrahmens knallte, lachte Fanny mich aus. Zwei Dinge, die nicht das letzte Mal passiert sein sollten.
Als ich am Tag zuvor, dem Tag unserer Ankunft in Uyuni, mit Nicole abends Essen ging, trafen wir in einem kleinen Restaurant auf Fanny. Sie war ebenfalls Teil unserer Gruppe auf der dreitägigen Tour nach Uyuni gewesen. Während es Nicole am nächsten Tag weiter nach Sucre zog, wollte ich gemeinsam mit Lukas weiter in die bolivianische Großstadt La Paz. Fanny hatte denselben Plan und so buchten wir am kommenden Tag gemeinsam den Bus.
Würde Uyuni nicht fernab von der Küste liegen, könnten man denken, die Stadt wäre von einem Tsunami heimgesucht worden. Es regnete hier bereits seit Tagen und die Straßen Uyunis glichen einem Flusssystem. Es war teilweise schwer, sie überhaupt zu überqueren und so halfen sich Anwohner mit Steinen und Brettern, die zu kleinen Brücken wurden. Es war hier wirklich alles andere als schön und so waren Lukas, Fanny und ich froh, die Kleinstadt nach zwei Tagen wieder zu verlassen.
La Paz
Während ich durch die zwei Monate in Argentinien viel Zeit an Orten verbrachte, die vom Tourismus geprägt waren und in Fällen wie Buenos Aires sogar eher europäischen Stil hatten, erlebte ich in Bolivien nun ein Südamerika, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
Nach einer Nachtbusfahrt erreichten wir La Paz in den frühen Morgenstunden.
Und dennoch war bereits Highlife in der Stadt. Am Busterminal vermischten sich die Rufe der Menschen, die Bustickets verkaufen, zu einem akustischen Durcheinander. Und vorm Terminal liefen wir in die Arme unzähliger Taxifahrer und solcher, die sich als Taxifahrer ausgaben. Für die wir als augenscheinliche Europäer mal wieder nicht mehr und nicht weniger als eine potentielle Goldgrube waren. Wir entschieden uns, den Weg zu unserem Hostel zu Fuß zu bewältigen. Wild Rover, so war der Name des Hostels und nicht nur der Name passte irgendwie zur Stadt, in der wir hier waren. Es war ein Party Hostel mit hausinterner Bar, indem es für jeden Abend Programm gibt.
Es war noch zu früh gewesen, um im Hostel einzuchecken und so gingen wir am Tag unserer Ankunft in La Paz erst einmal auf Erkundungstour.
La Paz ist die Hauptstadt des Deparmento La Paz und auch wenn sie nicht die Landeshauptstadt ist, befindet sich hier der Regierungssitz Boliviens. Mit einer Höhenlage von rund 3500 Metern ist es der höchstgelegene Regierungssitz weltweit.
Die Stadt liegt in einem rund 400 Meter tiefen Canyon des Rio Chokeyapu, der in die umgebenen Anden eingeschnitten ist und sich zu einem Talkessel weitet.
Wir machten eine Rundfahrt mit den verschiedenen Linien der Cable Cars. Um das Verkehrschaos in der Stadt zu entlasten, wurden seit 2014 hier 7 Linien gebaut, die sich im Laufe der Jahre zum Hauptverkehrsmittel für die Einwohner von La Paz etablierten. Mit den Cable Cars kann man vor allem die höhergelegenen Bereiche der Stadt erreichen. Angekommen am höchsten Punkt der Stadt fanden wir einen Aussichtspunkt.
Es war ein atemberaubender Blick auf eine Stadt der etwas anderen Art, dessen dichte Bauten von hier aus so winzig aussahen und mit den umgebenen gewaltigen Bergen im Widerspruch stehen.
Die dunkle Seite von la paz
Wir entschieden uns, am kommenden Tag eine vom Hostel organisierte Walking-Tour durchzuführen, um die Stadt besser kennenzulernen.
Mittlerweile war auch Niko im Wild Rover angekommen. Ich hatte ihn eine Woche zuvor in meinem Hostel in San Pedro kennengelernt, nun trafen wir uns hier in La Paz wieder.
Wir waren die einzigen vier, die sich für die Walking-Tour angemeldet hatten und so bekamen wir eine private Tour durch La Paz. Unser Guide gab uns einen Einblick und Informationen über die Stadt, die wir so niemals bekommen hätten.
Was haben folgende Geschichten gemeinsam?
1. In La Paz gibt es die Elephant Cemeteries. Es sind versteckte Einrichtungen für Menschen die mit ihrem Leben am Ende sind. Menschen gezeichnet von Armut, Einsamkeit, Verzweiflung, kommen hierher. Sie zahlen das letzte Geld, was sie haben, und erhalten dafür Cocaleaves, Zigaretten und Alkohol. Sie zahlen, um sich in jenen Einrichtungen zu Tode zu konsumieren. Die Leichen werden meist auf die Straße gelegt und so sind leblose Körper auf den Straßen von La Paz keine Seltenheit und zugleich ein Hinweis, dass sich eine Einrichtung der Elephant Cemeteries in der Nähe befindet.
2. Wenn in La Paz ein neues, größeres Gebäude gebaut wird, dann soll an jeder Ecke dieses Gebäudes ein Mensch begraben werden. Da die wenigsten Menschen sich freiwillig dazu melden, werden Menschen ausgewählt, die zu schwach sind. So trifft es häufig Obdachlose oder Betrunkene in Bars. Letzteres ist der Grund, warum die Menschen in La Paz im August kein Alkohol trinken gehen. Im August werden die meisten Häuser fertiggestellt.
3. In La Paz gibt es als Apartment versteckte Bordelle, in denen nicht selten mit Kindern gehandelt wird.
All diese Geschichten sind krank, sie sind verstörend. Und zugleich gehören sie zur Wahrheit einer Stadt, in der die Menschen mit merkwürdigen Ritualen leben. In der das Leben vieler Menschen von Armut und Verzweiflung bestimmt wird.
Erzählt hat uns diese Geschichten unser Tourguide in einem kleinen Verkaufsladen in einer der unzähligen Seitengassen eines Witchermarkets. Die Witchermarkets sind große Schwarzmärkte in La Paz, die sich auf viele Seitengassen der Stadt ausweiten. Es gibt hier nichts, was es nicht gibt. Verkaufsstände mit sämtlichen technischen Geräten gehen über die solchen mit Autoteilen. Zwischen veralteten, gefälschten oder geklauten JBL- Boxen kann man hier alte Keilriemen kaufen, ein paar Stände weiter gab es Schuhe, sowieso überall Socken und wieder an anderen Messer in allen Größenordnungen.
An den Überdachungen einiger Märkte hängen die tote Alpakas und Lama- Fötusse, die im Rahmen eines weiteren denkwürdigen Rituals geopfert werden.
die todesstraße
Bis zum Jahr 2007 forderte die Yungas Road bei La Paz jährlich 200-300 Todesopfer und wurde daher einst als gefährlichste Straße der Welt gekürt. Gebaut wurde die einspurige Straße in den 1930-er Jahren während eines Krieges mit Paraguay von paraguayischen Zwangsarbeitern, um das Hochland in La Paz mit den Regenwäldern im Amazonasbecken in Coroico zu verbinden. Langezeit galt sie als wichtige Verkehrsachse Boliviens. Eine lebensgefährliche Verkehrsachse, denn die Straße war unbefestigt, kurvenreich, in schlechtem Zustand und wurde zweispurig befahren, während die Sicht durch Regen und Nebel erschwert war, es kaum Absicherungen gab und stets die Gefahr bestand, in den tausenden Meter tiefen Abgrund hinabzustürzen.
Seit 2007 gibt es nun eine moderne, asphaltierte, zweispurige zwischen La Paz und Coroico und die Death Road ist für den normalen Verkehr gesperrt.
Heute fahren hier nur noch einheimische die Straße entlang sowie Mountainbiker.
Die Death Road ist in den vergangenen Jahren zu einer Touristenattraktion geworden. Eine Vielzahl an Agenturen bieten hier eine Fahrt mit dem Mountainbike an.
Wir buchten die Tour und fanden uns nach einer Fahrt mit einem Kleinbus wenig später auf 4700 Metern Höhe in den Anden wieder.
Gefährlicher als die Death Road selbst war das Einfahren auf der asphaltierten Straße zum Startpunkt der Death Road. Es war in den frühen Morgenstunden, es war neblig und auf dem kurvigen Weg bergab hatte keiner aus unserer Gruppe Licht. Während uns Trucks überholten und uns entgegenkamen, versagten gleich mal bei 3 Fahrrädern die Schaltung. Am Startpunkt der Death Road angekommen waren wir durchgefroren und nass und der einzige, der gut gelaunt schien, war unser Guide, der nach meiner Vermutung auf Drogen war, nach Fannys Einschätzung einfach gut gelaunt und motiviert. Vielleicht war es eine gesunde Mischung aus beidem.
Das Befahren der Death Road sorgte schließlich für gute Laune. Wir fuhren die rund 23 km bergab und die Fahrt auf der kurvenartige Schotterpiste sorgte nicht zuletzt wegen der erkennbar tiefen Abgründe am Straßenrand für viel Adrenalin.
Wir mussten die Tour allerdings noch vor dem Ende abbrechen. Ein Felsrutsch machte die Death Road unpassierbar.
Nun folgte das Gefährlichste an diesem Tag. In unserem Kleinbus, mit 9 Personen voll besetzt, ging es die 23 km der Death Road bergauf zurück. Man bekam einen Geschmack dafür, wie gefährlich die Straße für Autos ist. Auf den ich gern verzichtet hätte, so saß ich doch auf der Seite, die dem Abgrund der Straße zugewandt war und hatte so einen Blick in die tausende Meter tiefe Schlucht, die unser ständiger Begleiter war.
Unser Fahrer, dem wir in diesen 30 Minuten unser Schicksal überließen, war unbeeindruckt und fuhr den Weg, als wäre er eine normale Landstraße.
Wir überlebten es und ich war ehrlich froh. Mit dem Kleinbus fuhren wir noch 2 Stunden weiter bergab, um an einem Camping/ Hotelplatz zu essen. Wir waren mittlerweile auf rund 1000 Metern Höhe und die Differenz von knapp 3000 Metern im Vergleich zum Startpunkt der Death Road am Morgen machte sich vor allem in der Temperatur bemerkbar. Das Essen, das Wetter und die Anlage mit einem Pool bescherte uns einen angenehmen Ausgangs des Tages, ehe wir nach La Paz zurückkehrten.
Niko, dessen Drohne uns geniale Aufnahmen von Death Road bescherte, zog es weiter zum Karneval nach Rio.
Fanny, Lukas und ich wechselten während unseres Aufenthalts in La Paz indes munter die Hostels und wuchsen zu einer lustigen Gruppe zusammen. Belebt von Fannys Sarkasmus teilten wir einen
Sinn für Humor und hatten ein generelles Einverständnis, wie wir die Tage in La Paz verbringen würden
La Paz wurde für uns nicht zuletzt als Stadt mit dem höchsten Regierungssitz zur Stadt der Superlative.
Wir aßen hier den besten, sowie den schlechtesten Burger unseres Lebens. Ich bezahlte das teuerste Essen meiner Südamerikareise, wir kauften zusammen im teuersten Supermarkt Boliviens ein. Ich kaufte mir die kleinsten Socken meines Lebens in der schlechtesten Shopping-Mall, die wir je besucht hatten und wir übernachteten im schlechtesten Hotel, das wir je besucht hatten. In dem der Schlüssel abbrach, als wir die Zimmertür öffnen wollten.
Eine Herausforderung in La Paz war die Höhenlage der Stadt von 3600 Metern. Sie war permanent zu spüren. Nach einer Treppe mit 10 Stufen fühlte ich mich hier, als hätte ich gerade einen
Halbmarathon absolviert. Lukas bekam hier ernsthafte Probleme und wurde höhenkrank. Immerhin konnte er sich als frisch gebackener Radiologe die medizinische Diagnose gleich detailliert selbst
geben und nahm täglich die Gegenmedizin von 7 Litern Wasser ein.
Während 7 Liter für normale Menschen vielleicht etwas unrealistisch erscheinen, waren es aber mindestens drei, die ma nam Tag trinken sollte, wenn man keine Probleme bekommen wollte. Und so
entstand ein Teufelskreis aus Wasser trinken und Wasser lassen.
Titicaca
Unser Tagestrip nach Copacabana am Titicacasee wurde zu einem weiteren Highlight. Mit einer Fläche von über 8000 Quadratkilometern ist er der größte Süßwassersee Südamerikas und mit seiner
Höhenlage von 3000 Metern zugleich das höchstgelegene schiffbare Gewässer der Welt. Mit dem Bus fuhren wir bis ins bolivianische Copacabana am Titicacasee. Hier machten wir uns auf wen Weg auf
einen Aussichtspunkt über den Titicacasee, der aufgrund der Höhenlage zu einem anstrengenden Hiking-Trip wurde. Im Anschluss überquerten den See, den die Landesgrenze von Bolivien und Peru
durchtrennt und fuhren rüber zur Insel Isla del Sol.
Ein Ort, der an die Insel Lummerland aus meinem Lieblings-Kinderbuch Jim Knopf erinnerte. Ein Ort in absoluter Idylle, in absoluter Ruhe, mit wenig Menschen. Ein Ort, den man sich vorstellt, wenn
man einfach mal abschalten möchte. Nur der Tourismus scheint hier etwas Unruhe reinbringen zu können, wenngleich die Inselbewohner aber auch von den Tourismus-Gruppen leben, die die kleienn
Verkaufsstände täglich passieren.
Wir kamen glücklich, zufrieden und rot zurück nach La Paz. Einer von uns hatte am Morgen die Einschätzung, wir würden heute keine Sonnencreme brauchen, die anderen beiden hatten sich verbrannt.
Die zwei letzten Tage in La Paz waren unspektakulär, sie wurden zu Rest-Days, in denen wir unsere nächsten Stationen planten.
Lukas wollte die restlichen vier Wochen dazu nutzen, sich beim Karneval in Rio gepflegt aus der Realität zu bügeln.
Für Peru, dem nächstgelegenen Land im Norden, gab es im Zuge der schwere Proteste gegen die Landesregierung eine Reisewarnung und somit hatten Fanny und ich uns bereits damit abgefunden, Peru auf dem Weg in den Norden überspringen zu müssen. Während Fanny nach Ecuador Ausschau hielt, wollte ich gerne direkt nach Kolumbien fliegen. Während dieser Gedanken erhielten wir dann eine Meldung, die jene Gedanken wieder über den Haufen warf.
Machu Picchu hatte nach wochenlanger Schließung wieder geöffnet.
Simon Schlösser (Sonntag, 19 März 2023 22:04)
Toll geschrieben, beeindruckende Bilder, viele Informationen und auch mal die nicht so schönen Seiten oder Geschichten eines Landes beleuchtet. Was das Highlight des Textes angeht, kann ich mich nur Andrea anschließen...�
Stephan und Michaela Walter (Sonntag, 19 März 2023 20:03)
Hey Alex ! Wir lesen wirklich jeden Bericht und haben Dank deiner tollen Art zu schreiben wirklich Bilder vor den Augen und sehr oft auch das Gefühl dabei gewesen zu sein! Immer mal wieder haben wir auch ein Lächeln auf den Lippen...Danke dafür!! Was für ein riesen Abenteuer! Wie lange du jetzt schon unterwegs bist...!! Wir wünschen dir noch eine tolle Zeit! Bis bald!
Gardi (Sonntag, 19 März 2023 18:37)
So unfassbar spannend und beneidenswert :))))
Andrea Völtzer (Donnerstag, 16 März 2023 22:29)
Wieder sooo toll geschrieben!
Viele Infos,sehr interessant.
Mein Lieblingssatz :
„gepflegt aus der Realität bügeln…- herrlich!
Weiter so Ali !