
Zeitraum: 15.12.22 - 19.12.22
Seit Beginn meiner Reise war ich im Austausch mit meinem gleichaltrigen Cousin Lukas und wir verfolgten seit Wochen den Plan, uns in Südamerika zu treffen. Lukas, wohnhaft in Dänemark, war gemeinsam mit seiner dänischen Freundin Emma auf einem Roadtrip durch Patagonien. Zum aktuellen Zeitpunkt waren wir gerade einmal 700 km voneinander entfernt, was für südamerikanische Größenverhältnisse in unseren Vorstellungen der Entfernung von Hamburg bis Bremen gleicht. Diese vielleicht einmalige Chance mussten wir nutzen.
Und so buchte ich ein Busticket für den Folgetag in Richtung Norden bis zu der Kleinstadt Perito Moreno. Hier würden wir uns treffen.
An einem Donnerstag-Abend um 18 Uhr startete meine Reise aus El Chlaten. Am kommenden Morgen um 7 Uhr sollten wir in Perito Moreno ankommen.
Dass aus 7 Uhr 14 Uhr wurde, war für südamerikanisches Zeitverständnis im Rahmen vertretbarer Verspätungen, diese hatte jedoch einen Grund. Die Ruta 40, die Hauptstraße als Verbindung von Norden und Süden Argentiniens, war aufgrund des starken Regens in den letzten Tagen auf einem Teil der Strecke für den Bus unbefahrbar. So fuhren wir bis Rio Gallegos zurück, also statt nördlich süd-östlich bis an die Atlantikküste Argentiniens und von dort aus dann über einen monströsen Umweg in Richtung Perito Moreno. Die Route war in etwa so, als würde man von Köln über München nach Hamburg fahren.
Das Problem an der Sache war, dass ich über den gesamten Zeitraum der Fahrt kein Netz hatte. Somit konnte ich Lukas und Emma nicht Bescheid geben über die Verzögerung und wusste gleichzeitig, dass sie mich seit 7 Uhr morgens erwarteten.
Als ich in Perito Moreno endlich ankam, ließen sie mich wissen, dass sie sich in der Zwischenzeit ernsthafte Sorgen gemacht hatten. Mein Bus kam nicht an und ihre Nachrichten und Anrufe zu mir nicht durch.
Der Bus hielt an einer Tankstelle, auf dessen Rastplatz sich auch das kleine Bus Terminal von Perito Moreno befand und den wir daher als Treffpunkt ausgemacht hatten. Ich wunderte mich schon bald nicht mehr, warum ich der einzige Fahrgast war, der hier ausstieg aus dem Bus, der bis nach San Carlos de Bariloche weiterfuhr.
Perito Moreno hatte im Grunde eigentlich gar nichts zu bieten. Zudem ist die Kleinstadt fernab der schönen Naturplätze Argentiniens sowie fernab von großen Städten gelegen.
Der einzige Grund, warum wir uns hier trafen, war, dass sich unsere Wege hier kreuzen konnten.
Während ich auf der Durchreise nach Norden war, stand Emma und Lukas die Reise nach Patagonien bevor. Auf dieser Basis versuchten wir aus unserem Treffpunktort das Beste rauszuholen. Dafür hatten wir gleich zu Beginn eine große Starthilfe, denn das Viertelfinalspiel Argentiniens stand an diesem Tag auf dem Plan.
Lukas hatte eine Touristeninformation ausfindig gemacht und einen Tipp für eine Lokalität bekommen, in der wir das Spiel schauen konnten. Die Wegbeschreibung auf der Schwarzweißkopie, die er erhielt, endete in der Realität letztlich jedoch in einem riesigen See. Unter Zeitdruck fanden wir eine Alternative und schauten Argentiniens Halbfinaleinzug gegen die Niederlage unter der Atmosphäre der rund anwesenden 15 Locals. Einen dieser Leute sollten wir für den Rest des Tages nicht mehr loswerden. Emanuel war geistig vielleicht etwas zurückgeblieben und mit der Zeit auch etwas sehr anhänglich, in jedem Fall aber sehr herzlich und wir hatten mit ihm den restlichen Abend viel zu lachen.
Er nahm uns mit in eine lokale Bar, in der wir Billard spielten und an unserem bereits erhöhten Alkoholpegel weiter arbeiteten. Die Kommunikation war nicht immer ganz so einfach, da das Spanisch von uns dreien nicht ausreichte, um wirklich kommunizieren zu können. Den Leitsatz des Abends „una mas!“ verstanden wir aber immer aufs Neue und so wurde die Liste der Biere immer länger.
Emma und Lukas hatten sich für ihre Reise einen VW-Bulli in Santiago gekauft und ihn in wochenlanger Arbeit ausgebaut zu einem fahrendem zu Hause. Ich durfte im Bulli schlafen und auch wenn die Position auf der Vorderbank mit Beinen auf dem Lenkgrad keinem Hotelzimmer entsprach, war ich vor allem sehr dankbar, weil ich für diese Unterkunft nichts zahlen musste.
Am nächsten Tag starteten Lukas und ich eine Touristentour. Wir wollten das Beste herausholen aus dem Shithole, in dem wir gelandet waren und entschieden uns, das einzige Museum der Stadt zu besuchen. Da es eher eine Spaßidee war, hier am Arsch der Welt ein Museum zu besuchen, informierten wir uns vorher nicht darum.
Als wir nach dem Kauf der Tickets an der Rezeption erfuhren, dass extra jemand kommt, der uns alleine eine Führung gibt, war es der Beginn einer brutal unangenehmen Stunde.
Gab es jetzt ernsthaft eine Führung für uns beide? Für zwei Europäer, die ohne jegliches Interesse nur mal eben kurz reingucken wollten. Immerhin stieß noch eine weitere Dame hinzu und auch konnte der Herr Englisch sprechen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich die ganze Zeit über nur so getan habe, als hätte ich zugehört. In Wahrheit hatten wir erstens übelst Hunger, weil wir noch nichts gegessen hatten und zweitens hatten wir Zeitdruck, da wir das nächste WM- Spiel sehen wollten.
Was ich inhaltlich aus dem Museum erinnere ist, dass es um irgendwelche unspektakulären Ausgrabungen ging, ich denke aber auch, ich habe nicht so viel verpasst.
Wir schafften es dann immerhin zur zweiten Halbzeit des Viertelfinalspiels Portugal - Marokko, das wir in der Raststätte schauten. Nachdem ich in jener Raststätte bereits mehrmals auf Toilette war, geduscht und Zähne geputzt hatte, sowie mir etwas zu essen und zu trinken gekauft hatte, komplettierte die Möglichkeit, hier die WM zu schauen, meine zu bedeckenden Bedürfnisse.
Auch planten wir gemeinsam den nächsten Tag. Wie und wann ging es für uns alle weiter? Emma und Lukas wollten weiter Richtung Süden und ich wollte in den Norden nach Bariloche.
Als ich den Bus im Terminal buchen wollte, entstand ein neues Problem. Das Büro war im Rahmen der angegebene Öffnungszeiten und auch sonst nicht besetzt. Man kann uns sollte sich in Südamerika wirklich auf gar nichts verlassen.
Es wurde zu meinem Glück, dass Emma und Lukas entschieden, zunächst an die Atlantikküste Argentiniens zu fahren. In der Stadt Comodoro Rivadavia sollte es ein großes Busterminal geben, von wo aus die Fahrt nach Bariloche trotz längerer Strecke sogar günstiger sein sollte.
Was noch einen höheren Wert hatte, als dass meine Probleme so gelöst werden konnten, war, dass ich so in den Genuss eines Tagesroadtrips im Bulli kam. Für Emma und Lukas, mag es mittlerweile vielleicht bereits Routine gewesen sein. Für mich hatte die Fahrt in dem klapprigen, alten Oldtimer einen besonderen Flair. Auch, wenn es in den sechs Stunden nichts weiter zu sehen gab, als meilenweite Steppe. Oder vielleicht auch gerade deshalb.
Das Wort „Pampa“ war hier nicht nur umgangssprachlich zutreffend. Es hat seinen Ursprung in der Bezeichnung für die kargen, unbesiedelten Hochebenen Patagoniens, in denen wir uns befanden.
Lukas musste als Fahrer stets hellwach sein, da die Straße ohne Verkehr dazu verleitete, schnell zu fahren, zugleich aber in unregelmäßigen Abständen gefährliche Schlaglöcher als Überraschung bereithielt, die vereinzelt wie Krater wirkten und für den Bulli nur bei Schritttempo keine Gefahr darstellten.
Comodoro Rivadavia ist eine wichtige Hafen- und Industriestadt und größte Stadt der Provinz Chubut an der argentinischen Atlantikküste. Unter Reisenden ist die Stadt, die rund 177.000 Einwohner umfasst, jedoch völlig unbekannt. Und sie wird es vermutlich auch bleiben, denn hier gibt es original nichts zu sehen.
Als wir am Abend mit einer Gruppe von vier Mädchen, Anfang und Mitte 20, ins Gespräch kamen, die in der Nähe unseres Stellplatzes auf einem kleinen Parkplatz nahe am Wasser saßen, wurde dies bestätigt. Wir fragten Sie nach den Highlights und Sehenswürdigkeiten von „Comodoro,“ wie sie es abkürzten, und alle Orte, die sie nannten, lagen mindestens 20 km außerhalb der Stadt.
Es war auch der Moment, als ich meinen ersten Mate-Tee trank, den sie mit uns teilten. Ich hätte nichts dagegen, wenn es mein letzter gewesen war.
Wie gut, dass diese Stadt für uns nur einen Zweck erfüllte. Am nächsten Tag gingen wir zu Western Union und ich kaufte mir mein Busticket. Danach fuhren wir 2h und insgesamt 4 Tankstellen ab auf der Suche nach Duschen. Drei von ihnen hatten keine, die vierte hatte erst ab 18 Uhr wieder Wasser.
Und so ging die Reise für uns alle ungeduscht weiter. Für Lukas und Emma in in den Süden Patagoniens und für mich mit dem Bus in den Norden nach Bariloche.
Wir haben es während unseres Treffens und der gemeinsamen Zeit nicht geschafft, einen schönen Ort zu finden aber auch spielte dies nicht wirklich eine große Rolle
Es war ein aufregendes Wochenende und das alles Entscheidende war, wir hatten es geschafft, uns in den Weiten Südamerikas zu treffen.