10) Am Ende der Welt

Zeitraum: 23.11.22- 2.12.22

 

Peter war ein Psychopath, da waren wir uns alle einig. Dass Nicoló und ich durch ihn ins Gespräch kamen, war bei den verrückten Geschichten vermutlich das Beste an ihm. 

 

Nachdem Roy und ich in Puerto Natales angekommen waren, verblieben wir ganze fünf Tage in unserem ursprünglich gebuchten Hostel. Eigentlich wollten wir beide schon am Tag nach unserer Ankunft weiterziehen, doch die Reisestrapazen der letzten Woche entzogen uns die nötige Energie. Abgesehen davon war Puerto Natales und insbesondere unser Hostel ein schöner Ort und unter der Obhut unseres Gastgebers Osvaldo ließen wir es uns hier gutgehen. Die Gruppenphase der WM in Katar lief und gemeinsam mit Tobias, den wir hier wieder trafen, schauten wir viel Fußball in der Hostel-Bar und verbrachten die Zeit in netten Restaurants und Bars. 

 

An einem der Tage machte ich eine Tagestour zum naheliegenden Nationalpark Torres del Paine. In einem Minibus wurde unsere kleine Reisegruppe zu den Highlights eines Naturwunders geführt, das seit einer Online- Abstimmung 2013 als achtes Weltwunder gilt. Die nadelartigen Granitberge „Torres del Paine“, wörtlich übersetzt „die Türme des blauen Himmels“, sind das Wahrzeichen des einzigartigen Nationalparks. 

Auf der Tour traf ich auf Nicoló, einen Italiener aus Mailand. In unserem ersten Smalltalk stellten wir fest, dass wir beide auf derselben Fähre in Richtung Puerto Natales gewesen waren. Mit an Bord jener Fähre, war auch Peter, ein Tourguide aus der nächstgelegenen Stadt Punta Arenas. Roy und ich machten mit ihm das erste Mal Bekanntschaft dem Restaurant in Tortel, in dem Peter als ein Fremder merkwürdig aufdringlich unsere Nähe suchte. Später auf der Fähre sprach er nicht nur mit uns, am Ende der Fährfahrt gab es mit Sicherheit keinen Passagier mehr, zu dem Peter nicht gesprochen hatte. Mittlerweile verstand ich, warum er uns anbot, uns in seinem Auto zum Startpunkt der Fähre für die Autos zu begleiten. Peter konnte kein Auto fahren. Das erzählte uns bereits ein französisches Paar in Puerto Natales, welches ebenfalls auf der Fähre war und von Peter zu ihrem Hostel gefahren wurde. Ihre Rucksäcke durften nicht in den Kofferraum, er öffnete ihn nicht und ihre Vermutungen, was sich denn vielleicht im Kofferraum verbarg, gingen bei Peters mysteriösen Art in die Richtung eines schlechten Horrorfilms. 

Nach mehreren brenzlichen Situationen fragte er die beiden, ob nicht jemand von ihnen fahren will. Und selbiges erzählte mir nun auch Nicoló. Gemeinsam mit anderen Reisenden war er sogar über mehrere Tage mit Peter auf der Carretera Austral unterwegs gewesen. Er und die anderen mussten fahren. Peter selbst, Besitzer des Kleinbusses, konnte es nicht. 

 

Nach den erholsamen Tagen in Puerto Natales hatte ich ein neues Ziel: Ushuaia.

Lässt man den kleinen Ort Puerto Williams außen vor, ist Ushuaia die südlichste Stadt Südamerikas und wird daher auch als „das Ende der Welt“ bezeichnet. 

Ich verabschiedete mich von Roy und Tobias, für die es in andere Richtungen weiterging und begab mich auf eine 14- stündige Busfahrt durch kilometerweites Nichts, über eine Autofähre sowie über die Grenze nach Argentinien. 

Der erste Tag in Ushuaia fühlte sich dann fast wie Arbeit an. Ich war nun in einem anderen Land und als Reisender in Argentinien muss man sich an eines besonders gewöhnen. 

Aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise liegt die Inflationsrate Argentiniens mittlerweile bei über 90%. Und der Argentinische Peso verliert weiter mehr und mehr an Wert. 

 

Umgehen können Reisende aus anderen Ländern die ansteigenden Preise durch einen Umtausch von Dollar oder Euro. Den besten Kurs jedoch bietet der US- amerikanische Anbieter von Auslandsüberweisungen Western Union. Er bietet unter anderem die Möglichkeit, Geld ins Ausland zu transferieren. Der eigentliche Sinn, Geld an anderen Menschen zu schicken, wird von Reisenden in Argentinien auf legale Weise dazu missbraucht, Geld von seinem eigenen Bankkonto an sich selbst nach Argentinien zu schicken und es hier in einem Western Union - Store abzuholen. Auf diese Weise reduzieren sich die Preise um rund 50%. 

 

….Die damit verbundenen Komplikationen sind zum einen, alles mit Bargeld zahlen zu müssen und zum anderen, sich den langen Wartezeiten im Western Union - Store zu stellen. In Ushuaia verbrachte ich 2 1/2h, um mein Geld zu bekommen. In einer Stadt, die von Tourismus in der Hochsaison geprägt ist, trifft man so gut wie alle Reisenden in der Schlange bei Western Union. 

Nachdem ich im Anschluss nach Spanien und Chile nun in Argentinien meine dritte SIM- Karte von Movistar ergattert habe, konnte ich mich nun voll und ganz dem Ende der Welt widmen. 

 

Ushuaia, die Südspitze Patagoniens. Ein Küstenort als Startpunkt für Touren in die Antarktis. Dessen lange Hafenpromenade zu netten Abendspaziergängen einlädt. 

Eine riesige Argentinien-Flagge vermittelt den Nationalstolz der Einwohner. Der Charme Ushuaias war überall zu spüren. 


Mein Hostel hingegen war ein lebendiges Chaos. In Kombination mit der heruntergekommenen Einrichtung zu einem viel zu hohen Preis bescherte die Tatsache, dass das Hostel von Menschen überfüllt war, nicht unbedingt eine ruhige Urlaubsatmosphäre. 

Das Hostel hatte ich auf Nicolós Vorschlag hin gebucht, der am selben Tag mit dem Flugzeug in Ushuaia gelandet war. 

Gemeinsam mit Yanniger aus Venezuela sowie der Italienerin Ana aus meinem Zimmer, verbrachten wir einen Abend in einer nächstgelegenen Bar, in der ich vergeblich versuchte, mich mit dem argentinischen Bier anzufreunden….

 

 

////Die folgenden Tage in Ushuaia waren geprägt von absoluter Planlosigkeit. 

Mein Reisestil, nicht zu wissen, was der morgige Tag bringt, veränderte sich in diesem Zeitraum dazu, dass ich nicht einmal mehr wusste, was der heutige Tag bringen würde. Dennoch hatte ich in Ushuaia am Ende einiges erlebt. 

Da war zum einen die Tour mit Yanniger und dem Mexikaner Eusebio zum Gletscher Martial. Wenn ich über Ausflüge in die Natur Südamerikas schreibe, lasse ich fortan mehr meine Bilder sprechen. 

Erwähnen möchte ich an der Stelle lieber ein aufschlussreiches Gespräch auf dem Weg der Wanderung sowie im Anschluss bei einem Bier, dass selbst ich dieses Mal nach getaner Anstrengung genießen konnte. Wir sprachen über die Unterschiede der mexikanischen, südamerikanischen und deutschen Lebensqualität, die Unterschiede in den Familientraditionen und über vieles mehr. 

Während Yanniger am nächsten Tag abreiste, unternahm ich mit Eusebio meinen zweiten Ausflug zur Laguna Esmaralda. Den Bildern sei hier hinzugefügt, dass Eusebio und ich zuerst auf legale und später auf illegale Weise einen kleinen Pfad folgten, der uns hinter die Lagune und später in die Berge brachte. Von wo aus wir neben dem Wasserfall den weiten Blick auf die Lagune genießen konnten. Das hellblaue Wasser verschaffte in Kombination mit den vereisten Bergen ein wunderschönes Landschaftsbild////

In Ushuaia habe ich realisiert, dass mir Ausflüge weitaus mehr geben, wenn ich für sie nichts bezahlen muss. Ich kann es nicht in dem Maße genießen, wenn ich während einer Tour weiß, dass ich gerade einen großen Betrag meines Budgets verloren habe. Die kostenfreien Ausflüge in Ushuaia hatten somit einen höheren Wert für mich und ich habe sie alle nicht zuletzt wegen der beeindruckenden Natur sehr genossen. 

 

Wie auch meinen letzten Hiking- Trip zu einem Aussichtspunkt über Ushuaia. 

An diesem Tage hatte ich mich anfangs darauf gefreut, ihn alleine zu verbringen. 

Ich lerne gerne Menschen kennen, und besonders Ausflüge machen viel mehr Spaß, wenn man sie gemeinsam mit netten Menschen unternimmt, die Erlebnisse mit jemanden teilen kann. Gleichwohl muss ich eingestehen, dass ich auch sehr gerne mal etwas alleine unternehme. Einfach mal nicht zu reden, sich mit niemandem über irgendwas absprechen zu müssen, einfach abschalten und genießen zu können. 

 

Während ich mit diesem Gedanken mit Musik im Ohr den rund 4 stündigen Weg auf mich nahm, dauerte es 10 Minuten, bis der Plan scheiterte. 

Dafür hatte ich dann sehr nette Gesellschaft von Eric & Lisa, einem Paar aus Kanada. Ich kam mit ihnen ins Gespräch, weil wir uns gegenseitig fragten, wem wenn eigentlich dieser Hund gehört. 

 

Ein Labrador begleitete uns, später schloss sich auch ein Schäferhund unserer Reisegruppe an. Am Ende unseres Trips kehrten wir mit vier Hunden nach Ushuaia zurück. Die vielen Straßenhunde nutzen hier jede Möglichkeit, Anschluss zu finden. Nachdem ich mich in Richtung meines Hostels verabschiedete, folgten zwei von ihnen Eric und Lisa weitere 20 Minuten durch die Stadt und sie wurde sie erst los, als sie in einen Supermarkt flüchteten. 

 

Als wir den Aussichtspunkt erreicht hatten, war uns eine unglaubliche Aussicht geboten. Man konnte nicht nur ganz Ushuaia  sehen, sondern hatte auch einen Blick auf den Beagle-Kanal, einer natürlichen Wasserstraße im Süden Feuerlands, an den Ushuaia grenzt und die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. 

Und dann war sie auch schon wieder vorbei, meine Woche am Ende der Welt.

Die Stadt, die Natur und die Menschen, die ich hier kennenlernte, machten diese Tage zu einem besonderen Kapitel meiner Reise.