
Zeitraum: 8.11.22 - 15.11.22
Ein weiteres Mal hatte ich auf einen ruhigen Ort am Wasser gehofft. Ein weiteres Mal kam es anders. Ein weiteres Mal landete ich im Trubel.
Auch Puerto Montt stand auf den ersten Blick nicht unbedingt für Schönheit und noch weniger für Ruhe.
Es wirkte, als würde die Stadt bei ihren Bauarbeiten ohne Konzept vorgehen. Eine aufgerissene Straße, eine aufgerissene Promenade, abgerissene Häuser. Überall waren angefangene Baustellen.
In meinem kleinen Hostel traf ich dann auf große Gastfreundschaft seitens des Hosts. Marcus bestellte mich in die Küche und schenkte mir einen Tee ein. Mir gegenüber saßen dabei zwei Personen. Zum einen ein Israeli, der im Rahmen seines Monologs stolz berichtete, wie er seinen Impfpass fälschte, um über die USA nach Südamerika zu fliegen.
Zum anderen ein Deutscher aus Hamburg, der es immer wieder schaffte, ihn zu unterbrechen.
Bei allen Gemeinsamkeiten hatten Tobias und ich drei große Differenzen.
Erstens der Fußballverein: Als Dauerkartenbesitzer für Block 25A ist er ein großer HSV- Ultra. Zweitens der Reisestil: Während ich versuche, alle Strecken in Südamerika per Bussen und Fähren zu absolvieren, hatte Tobias gerade seinen 17. Flug innerhalb Südamerikas hinter sich gebracht. Drittens: Tobias wusste alles besser und nur seine Idee und seine Denkweise war die richtige. In einigen Fällen sogar wirklich, in allen anderen boten die Gespräche dafür beste Unterhaltung.
Ansonsten läuft in unseren Leben vieles sehr ähnlich ab. Die Liebe zum Fußball, der Studiengang Lehramt, der Lebensort Hamburg, das Geburtsjahr 1997 und während es bei mir ein reines Hobby ist, spielt Tobias Klavier auch für sein Studium im Fach Musik.
So hatten wir jederzeit genug Gesprächsstoff und würden in den kommenden Tagen vieles gemeinsam unternehmen.
Die erste Unternehmung war ein Ausflug zur naheliegenden Insel Chiloé, den wir in einem Touristen- Office buchten, da Touren auf diesem Wege immer um einiges billiger sind, als die Online- Angebote.
Den Abend verbrachten wir im Club Aleman. Puerto Montt gehört zu der Region Los Lagos, in die es in der Vergangenheit viele deutsche Auswanderer zog. Mit dabei war die Französin Emma aus unserem Hostel. Vergebens versuchten wir ihr mittels „german Schlager“ die deutsche Sprache näher zu bringen. Am Ende lernte sie nur einen deutschen Satz: Ich bin besoffen.
Der Club Aleman war allerdings erstens kein Club und zweitens auch nicht aleman. Es war ein spanisches Schickimicki- Restaurant, in dem keiner der Kellner auch nur ein Wort Deutsch sprach. In dem außer uns niemand war. Das seine Öffnungszeiten nach uns richtete und die Kellner darauf warteten, bis wir unser letztes Bier ausgetrunken hatten.

Der Ausflug nach Chiloé am kommenden Tag war dann ein Erfolg. In einem kleinen Bus ging es in einer Gruppe von 15 Leuten für einen Tagesausflug auf die zweitgrößte Insel Chiles. Der Busfahrer, gleichzeitig unser Tourguide, übersetzte extra für uns, denn wir waren die einzigen beiden Europäer, das für mich noch immer unverständliche chilenische Spanisch in Englisch.
Für den Preis von umgerechnet gut 27€ konnten wir an diesem Tag vieles sehen und viele Informationen über Chiloé erfahren.
Am Abend trafen wir auf Roy, einen Engländer, 62 Jahre alt, sympathisch.
Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass diese Begegnung der Beginn eines großen Abenteuers werden sollte.
Während des Aufenthalts im Hostel kam es immer wieder zu Gesprächen mit anderen Reisenden über die möglichen Optionen, wie man denn am besten weiter in den Süden Chiles, ins tiefe Patagonien kommen kann.
Auch ich hatte dies als Ziel, so weit wie möglich in den Süden Südamerikas zu reisen. Das Problem: Chile hat in Richtung Süden nur eine Straße. Die Carretera Austral, die auf halber Strecke in den Bergen abrupt endet.
Die einfachste Option, zu fliegen, war für mich keine. Ich könnte natürlich behaupten, ich würde es rein aus Umweltgründen nicht tun wollen, das würde sich cool anhören. Wäre aber auch ein bisschen gelogen. Bzw. nur ein Teil der Wahrheit. Der größte Faktor ist meine Abenteuerlust. Ich halte nicht viel davon, sich in einen Flieger zu setzen und sich an einen anderen Ort zu beamen.
Ich möchte so viel wie möglich sehen, das Gefühl für die Distanzen bekommen, so viele Abenteuer wie möglich erleben. Ein Flug nimmt einem all das, was für mich Abenteuer bedeutet.
Zwei Damen aus Frankreich und Österreich, die auch in unserem Hostel waren, entschieden sich für eine viertägige Fähre per Direktverbindung in den Süden. Auch keine Option, weil viel zu teuer.
Ana aus London entschied sich für eine Grenzüberquerung und eine Busroute auf Argentiniens Seite.
Inmitten der Überlegungen setzte es sich in meinem Kopf fest, ich würde versuchen, den Weg ohne Flug und ohne die Grenze zu überqueren, zu meistern. Es musste doch einen Weg geben. Warum dies so schwierig ist, beantwortet ein Blick auf die Karte Chiles. Die südliche Hälfte des Landes besteht weitestgehend aus Fjorden.

Während parallel die Gedanken über den Reiseplan sich stetig weiterentwickelten. machten wir einen Ausflug zur benachbarten Stadt Puerto Varas. Wir, das waren Ana, Roy. Tobias und ich. Und Puerto Varas hielt, was es verspricht. Mitte des 19. Jahrhunderts besiedelten deutsche Einwanderer die Gegend um den Llanquihue- See, ehe 1854 die Stadt gegründet wurde. Noch heute sind hier daher viele Spuren deutscher Einwanderer vorzufinden.
Eine Stadt mit einem Deutschen Verein, einer deutschen Feuerwehr, Bratwürsten in den Restaurants und Ritter Sport & Kinderschokolade sowie verschiedenen deutschen Biersorten in den Supermärkten gaben Tobias und mir ein Stück Heimat.
Roy und Ana, die beide aus London kommen, waren nicht wirklich zu beeindrucken, als wir uns über jede neue Entdeckung freuten und waren irgendwann vielleicht sogar etwas genervt, da wir alles, was diesen Ort so schön machte, mit „yes, because it´s german“ begründeten. Dass nach vielen Tagen Regen in Puerto Montt an diesem Tag die Sonne über Puerto Varas schien, war vielleicht das Einzige, was nicht typisch Deutsch war. Zugleich bescherte die Tatsache uns einen schönen, deutschen, Tag.

Mittlerweile konnte ich Roy dazu gewinnen, sich meiner Challenge für die Reise in den Süden anzuschließen. Gemeinsam bastelten wir uns in stundenlanger Arbeit mögliche Routen mit Fähren und Bussen zusammen. Wir mussten feststellen, dass die Bus- Gesellschaften online teilweise veraltete Informationen angaben, dass einige Routen gar nicht mehr angeboten wurden. Und dass die Busse auch nicht täglich fahren, sondern vielleicht nur ein oder zweimal pro Woche.
Durch Mithilfe unseres Hosts Marcus, der mehrfach mit Fähr- und Busgesellschaften telefonierte, kamen wir an die nötigen Informationen und erstellten einen Plan für eine Reise mit lokalen Bussen und Fähren.
Wir nannten ihn „The Plan D“, da wir uns gegen einen Flug, gegen die direkte Fährverbindung sowie gegen die gängige Busroute über Argentinien entschieden.
„The Plan D“ ging in der Theorie auf, ob er auch in der Praxis aufgingen würde, hing davon ab, ob wir alle Anschlussbusse- und Fähren kriegen würden. Sicher war nur, dass in der Praxis des Plans nichts schiefgehen durfte.
Was gibt es zu meinem Aufenthalt zu Puerto Montt noch zu erzählen?
Die am Anfang von uns beobachtete Sorgfalt beim Aufräumen und Putzen des Hostels stellte sich mit der Zeit als eine echte Zwangsstörung bei unserem Host heraus.
Marcus staubsaugte und feudelte drei Mal am Tag, machte täglich die Betten, und räumte die Zimmer auf, sodass wir täglich nach unseren Sachen suchen mussten. Und er bekam fast einen Anfall, als ich ein anderes Schließfach nutzte, als für mein Bett vorgesehen war.
Als Tobias und ich in einem kleinen Aufenthaltsraum einen Tisch verschoben, um das Ipad fürs Bundesliga- Gucken besser platzieren zu können, schien er regelrecht schockiert. Schnell schob er alles wieder an Ort und Stelle, richtete die Zeitschriften auf dem Tisch wieder so, dass ihre Ecken auch nicht nur einen Millimeter über den Rand des Tisches ragten, bevor er beim Rausgehen die Fußmatte an der Tür wieder gerade rückte.
Ansonsten wurde die Woche in Puerto Montt sehr von unser verrückten Planung dominiert. „The Plan D“ stand. Ich würde also versuchen, ihn gemeinsam mit Roy in die Tat umzusetzen.
Wie der Plan in der Praxis aussah, was wir unterwegs erlebten, folgt im nächsten Bericht.
