7) Das Juwel des Pazifiks

Zeitraum: 2.11.22 - 8.11.22

 

Für einen Aufenthalt in Santiago ist ein Besuch der Küstenstadt Valparaiso im wahrsten Wortsinne naheliegend. Dominik und ich entschieden uns, mit einem 90- Minuten- Bus den Weg auf uns zu nehmen und bekamen auf der Fahrt einen ersten Eindruck von den chilenischen Langstreckenbussen, deren Sitze wirklich äußerst komfortabel sind. Während die Busfahrt nicht zuletzt deswegen, sondern vor allem wegen der Aussicht auf die Landschaft, sehr angenehm war, war der erste Eindruck von der Stadt etwas schockierend. Bzw. war es nicht das, was wir erwarten hatten. Wir hatten auf einen netten, kleinen Küstenort gehofft, stattdessen entpuppte sich Valparaiso auf unserem Weg zum Hostel auf den ersten Blick als fette, überbevölkerte, Industriestadt. Dieser Eindruck bestätigte sich, als wir nach dem Check- In ein bisschen die Stadt erkunden wollten. Und er verschlechterte sich weiter, als wir feststellten, dass es nichtmal einen Zugang zum Wasser gibt.

Zu allem Überfluss bekamen wir dann auch noch zu spüren, dass wir an einem gefährlichen Ort gelandet waren. In einem kleinen Park im Zentrum der Stadt blickten wir erstmals der Kriminalität ins Auge. Zwei Gruppen, eine zu unserer linken, eine weitere zu unserer rechten Seite, musterten uns von oben bis unten aus und wir konnten spüren, welche Absichten die dunkel gekleideten Männer unserer Altersklasse hatten. Als wir die beiden Gruppen passierten, hörten wir einige von ihnen pfeifen. Daraufhin folgte uns ein kleiner Junge, vllt 12 Jahre alt, auf einem BMX- Rad quer durch den Park und es wirkte, als checkte er aus, was wir an Wertsachen dabei haben, was aus uns Touristen rauszuholen ist. 

Wir entschieden uns, auf schnellsten und direktesten Wege zum Hostel zurückzukehren und ich ertappte mich dabei, wie ich auf dem Rückweg mich immer wieder umsah. Ich denke, das einzige, was uns vor mehr bewahrte, war die Tatsache, dass es noch einigermaßen hell war und die Überfälle in der Regel in der Nacht ausgeführt werden. 

 

 

 

Am kommenden Tag fuhren wir in die nächstgelegenen Orte Concon und Vina del Mar. Aus einer Mischung aus Sicherheitsgründen und Abenteuerlust entschieden Dominik und ich, uns ohne Handy und nur mit ein bisschen Bargeld auf den Weg zu machen. 

Unser Schmierzettel mit den Informationen für die Bus- Route wirkte wie eine Schatzkarte, die folgende Busfahrt dann wie eine Fahrt in einer schlechten Achterbahn. In einem lokalem Kleinbus fuhren wir mit 130 km/h und offenen Türen in Richtung Concon. 

Unser Ziel waren die Dünen Concons, die ins Wasser abfallen, deren Farbe an die Sahara erinnerte und von deren Spitze aus sich ein schöner und zugleich mein erster Blick auf den Pazifik bot. 

Angekommen am Wasser, kletterten wir auf die Felsen an der Küste und entschieden uns, ohne uns abzusprechen, für rund 20 Minuten einfach nur die Aussicht zu genießen. Die Entscheidung, im Anschluss im Pazifik baden zu gehen, war dann abgesprochen. Am Strand in Renaca, einem kleinen Teil Vina del Mars, rannten wir so schnell wie wir konnten, ins Wasser und ich anschließend doppelt so schnell wieder heraus. 

Es war arschkalt. Das Wasser, dass durch den Humboldtstrom aus der Antarktis an der Westküste Südamerikas entlang nach Norden transportiert wird, hatte in diesem Moment eine Temperatur von rund 7 Grad. 

Dominik motivierte uns beide im Anschluss, nochmals reinzugehen, keine Ahnung warum. Aber tatsächlich gewöhnte man sich ein bisschen daran und unseren zweiten Versuch könnte man vllt sogar tatsächlich als „baden“ bezeichnen. 

Eine hervorragende Idee, mit der wir am weiten Strand Renacas die einzigen waren und die wenige Tage später eine Erkältung bei mir auslöste. 

Daher ist es für mich von einer hohen Bedeutung, den Fakt nochmal deutlich darzulegen: Ich habe im Pazifik gebadet! 

Am Abend lernten wir in bester Abendatmosphäre auf der Rooftop- Terrasse einen weiteren Deutschen kennen. Ali entschied sich einst bei gleichem Vornamen wie ich für einen leicht differenzierten Spitznamen, verstehen konnten wir uns trotzdem. Seine Art, seine Offenheit und sein Humor sollten nicht nur diesen Abend sehr unterhaltsam machen. 

Während Dominik am nächsten Morgen weiter in Richtung Atacama- Wüste in den Norden Chiles zog, wechselte ich gemeinsam mit Ali das Hostel innerhalb Valparaisos, um einen anderen, schöneren Teil der Stadt kennenzulernen. 

 

 

 

Der Ortswechsel innerhalb der Stadt ließ mich Valparaiso von einer ganz anderen Seite sehen. Unser neues Hostel lag auf dem Cerró Alegre, einem der 27 Hügel, auf denen die Stadt erbaut wurde, an deren Hängen die Häuser quasi wuchern. 

Was diesen Teil der Stadt, das Herz Valparaisos, auszeichnet, ist die fantastische Bildwelt der Graffiti an den Wänden und Hausmauern, die bei einem hemmungslosen Gebrauch von Farbe die Straßen in bunter Vielfalt erscheinen lassen. 

Nachdem ich die Schönheit der Stadt entdeckte, verstand ich, warum Chilenen Valparaiso auch „das Juwel des Pazifiks“ nennen und wofür der Name meines erstes Hostels steht. „La Joya“ - Das Juwel. 

Als ich die Street Art in der Umgebung nach und nach entdeckte, suchte ich für gut zwei Stunden auch ein lokales Restaurant. Als ich einen preiswerten Burgerladen fand und das Essen auch noch qualitativ gut war, freute ich mich, dass sich die lange Suche und der weite Weg gelohnt hat. Mein Stolz hielt an, bis ich den Namen meines Hostels in Google Maps eingab und feststellen musste, dass ich bei meiner Suche eine Tür entfernt von meinem Hostel gelandet war. 

 

Ali war on Fire. Kurzerhand organisierte er uns eine Pub Crewl für Hostelbewohner aus der Umgebung. 

Gemeinsam mit Claas aus Mainz und dem Schweizer Simon hatten wir ein rein deutschsprachiges Zimmer. Mit einer Ausnahme. Der 39- Jährige Scott aus London schloss sich uns für den Abend an. In einer Pizzeria sorgten wir wenig später für eine gute Grundlage und die ersten Tropfen im Tank. 

Per Uber XXL ging es dann zum Hostal Azul, von wo aus die Tour beginnen würde. Insgesamt waren wir im Nachtleben Valparaisos am Ende in drei verschiedenen Clubs. In wirklich verschiedenen Clubs. Auf Raggington folgte Techno und abgerundet wurde alles in einer Rooftop- Bar, die eine besondere Party- Atmosphäre bot. 

Wir waren ein Mix aus wildfremden Leuten aus aller Welt, die gemeinsam feierten, die während des Abends zu einer Gruppe wurden. Leute, die sich vorher nicht gesehen haben und nachher vermutlich auch nie wieder sehen werden. 

Und inmitten der Chilenen hatten wir als unverkennbare Touristen alle eine vereinende Gemeinsamkeit. 

Besonders gesund war dieser Abend nicht. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel gekifft, wie in jener Nacht. Was daran liegt, dass ich von Gras noch nie ein Fan war. Ich würde auch nie auf die Idee kommen, für das Zeugs auch nur einen Cent zu bezahlen. In dieser Nacht sagte ich jedoch zu Alis Angeboten im Stundentakt nicht nein. 

Die Mischung aus den Mengen an Alkohol und Gras machten am nächsten Tag einen Rest- Day mehr als nötig und außer ihm auch nicht viel mehr möglich. 

In einem lokalem Supermarkt wirkten zwei Dinge surreal. Das erste war der in den kleinen Laden eingebaute Bankautomat der Banco de Chile, der nicht nur wegen seiner Größe etwas unpassend platziert schien. Das zweite war die nächste Erkenntnis, dass in Südamerika außerhalb der Hostels wirklich kein Wort Englisch gesprochen wird. 

Als Ali nach „Eggs“ fragte und statt Eiern nur einen leeren, maximal frangenden Blick von der Kassiererin bekam, wandte er sich nur ab und sprach vor sich „ach komm, vergiss es“. Meine Spanischkenntnisse werden indes langsam, aber unsicher besser und so konnte ich die „Huevos“ noch organisieren, die wir für unser Katerfrühstück benötigten. 

Am Sonntag ging es für mich dann wieder zurück nach Santiago. Hier gibt es die einzigen Verkehrsanbindungen in Richtung Süden, wo meine nächsten Ziele lagen.

 

 

 

Scheinbar bringt uns das Schicksal immer wieder zusammen und so antworten Gonzalo und Benjamin auf meine Instagram- Story aufgenommen in Valparaiso und teilten mir mit, dass sie auch da wären, dass sie auch am Sonntag zurück nach Santiago fahren würden. 

Und so saß ich am Sonntag in meinem Privattaxi mit Gonzalo und Benjamin auf dem Weg zurück in Chiles Hauptstadt. Auf dem Highway hielten wir an einer Raststätte für McDonald´s an und ich gönnte mir aus dem Angebot einen „McAleman“. 

 

Am Abend fuhr ich zu Torben. Ich kenne ihn noch aus Schulzeiten, das letzte Mal Kontakt hatten wir, als ich im Sommer 2021 mal an seiner Wohnung interessiert war. Die er kündigte, um für zwei Jahre nach Santiago zu ziehen. 

So lag es auf der Hand, dass wir uns nun in Chile wiedersahen. Im Business und Sales Market Development in Chile tätig, lebt Torben in einer netten zwei Zimmerwohnung im Zentrum Santiagos und konnte viele Tipps und Erfahrungen für das Leben in Chile mit mir teilen. Meinen Respekt dafür, als Deutscher sich an dieses Leben zu gewöhnen und es für so einen langen Zeitraum zu leben! 

 

Nun ging die Reise für mich weiter. Ich buchte einen Bus, der mich über Nacht ins 1000 km südlich von Santiago gelegene Puerto Montt bringen würde. 

Mit den Kosten von umgerechnet 24€ für 1000km Fahrt über Nacht, in der keine Kosten für eine Unterkunft anfallen, sind die Nachtbusse ein sehr geeignetes Verkehrsmittel, um die weiten Strecken Südamerikas zu meistern. Nicht zuletzt, weil ihre Sitze äußerst komfortabel sind und man eine durchaus erholsame Nacht genießen kann. 

Auf dem Weg zum Busterminal hatte ich mal wieder eine dieser überraschenden Begegnungen. Mein Uber- Fahrer war ein geborener Peruaner, der in seiner Heimat eine Deutsche Schule besuchte, anschließend in Mönchengladbach studierte, dort eine Familie gründete, nach der Trennung von seiner Frau seine beiden Söhne mit nach Chile nahm, welch jetzt wiederum in Deutschland und der Niederlande studieren. Ein 10- Minuten Gespräch, das mal wieder so viel wertvolles beinhaltete. Eine weitere der Geschichten, die man in dieser Häufigkeit und Vielfalt wahrscheinlich nur auf Reisen erfährt.