-drei Tage in einem anderen Universum

Zeitzone Lissabon, Dienstag, 25.10.
Na geil, jetzt steck ich in dieser scheiß Metro fest. Ich hatte sie nur gewählt, weil die Busse alle überfüllt waren. Kurze Zwischenbilanz: Mit einem Backpacker - Rucksack im Berufsverkehr kommt man in Lissabon in den Bus nicht rein und aus der Metro nicht raus. Ich war schon drei Stationen zu weit gefahren, immer in der Hoffnung, an der nächsten müssten doch mal welche aussteigen. Aber es stieg keiner aus. Und wer es wollte, der konnte es nicht. Das Gedränge im Wagon ließ keine Bewegungen zu.
Meine unumgängliche Mission war es, zum Hauptbahnhof Lisbon- Oriente zu gelangen. Von hier aus würde der FlixBus Richtung Madrid abfahren. Etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen, in dem ich mich in Lissabon aufhielt, war Oriente für mich nur per öffentlicher Verkehrsmittel zu erreichen.
Auch das doch. Ich sah die ersten Fans von Benfica und wusste, dass ich zu allem Überfluss in der Metro feststeckte, die in Richtung des Estadio da Luz fährt, wo in gut einer Stunde das Championsleague - Spiel zwischen Benfica Lissabon und Juventus Turin angepfiffen wird.
10 Minuten später kam ich endlich raus und ich musste schmunzeln, als ich vom Ausgang der Metro-Station aus auf das Estadio da Luz blickte. Den Ausflug mit dem E-Roller sechs Stunden zuvor hätte ich mir also sparen können.
Über eine Regionalbahnverbindung in der Nähe fand ich schließlich irgendwie den (Um)Weg nach Oriente.
Da ich meinen großzügig eingeplanten Zeitpuffer von zwei Stunden nahezu komplett verspielt hatte, fehlte mir nun die Zeit für ein Abendessen. Anstatt einer netten Lokalität musste ich nun einen Supermarkt aufsuchen. Und hatte dafür noch 10 Minuten Zeit. Der einzige in Google Maps eingezeichnete Supermarkt befand sich in einem dem Bahnhof benachbarten Einkaufszentrum. Hier gab es eigentlich alles. 100 Millionen Beauty- Läden, Shoppingmöglichkeiten, eine Fressmeile, für deren meterlange Schlangen vor den jeweiligen Fast-Food-Restaurants ich keine Zeit mehr hatte. Ich sah in zwei Stockwerken alles. Außer einen Supermarkt. Der war dann natürlich im Untergeschoss, wie mir eine genervte Dame am Infopoint sagte, die gerade Feierabend machen wollte. 5 Minuten noch. Natürlich war das Ding aufgezogen wie ein Global- Supermarkt. Nachdem ich an den 137 Gängen vorbeigelaufen bin, um mir einen Überblick zu verschaffen, sammelte ich mir nach einem Blick auf die Uhr einfach irgendwelche Sachen auf die Schnelle zusammen.
Mit verpackten Milchbrötchen und Mini- Croissants, einer Cola und einem RedBull (beides natürlich ohne Zucker, sonst ist’s ungesund) und einer Tüte Chips sprintete ich in Richtung Busterminal. Mit dem Backpacker- Rucksack muss es ähnlich ausgesehen haben, wie ein von einer Tarantel gestochenes Nilpferd.
Beim Check-In für den Bus hatte ich in der Hektik versehentlich noch mein Ticket aus der FlixBus- App gelöscht, konnte dann aber mit der Ticketnummer aus der Buchungsbestätigung- Email in den Bus einsteigen und war heilfroh, als ich auf meinem Platz angekommen war.
Es war nur das Ende des ersten Tages einer verrückten Zeitreise.
Nachdem ich mich auf Santiago de Chile als nächstes Reiseziel entschieden hatte, begann meine Suche nach Flügen. Kurzfristig gebuchte Flüge schließen tolle Angebote beinahe komplett aus. Um möglichst günstig ans andere Ende der Welt zu gelangen, musste ich innerhalb der Woche fliegen und Zwischenstopps in Kauf nehmen. Auch unter diesen Umständen fingen die Angebote bei 750€-800€ an. Aus der Reihe der Preisklasse tanzte ein Angebot von 532€ für einem Flug mit Zwischenstopps inklusive Aufenthaltsdauer in New York und Houston. Ich buchte den Flug zwei Tage zuvor, am Mittwoch morgen um 10:50 Uhr würde der Flieger nach Madrid gehen, das Ende der Reise wäre am Freitagmorgen um 7:20 Uhr nach chilenischer Ortszeit in Santiago.
In kurzer Zeit galt es nun, die organisatorischen Vorbereitungen abzuwickeln.
Um bei meinen Zwischenstopps in New York und Houston amerikanisches Gebiet betreten zu können, ohne erschossen zu werden, war ein ESTA als Aufenthaltsgenehmigung notwendig. Dann brauchte ich eine Unterkunft in New York für eine Nacht, sowie ein Hostel für Santiago. Die Fluggesellschaft United Airlines schickte mir in Summe 13 Emails, alle mit der Bitte, tausende Daten einzutragen, um mich dann in der letzten Email zu informieren, dass ich sowie alles am Schalter nochmal machen muss. Der Beginn einer schwierigen Beziehung.
Einen Großteil dieser Dinge musste ich auf den Straßen Lissabons regeln, da ich am Dienstagmorgen bereits im Hostel ausgecheckt hatte, und den Tag über aber auch noch was von der Stadt sehen wollte. Als ich mich auf eine Bank in einem Park setzte, ging mein Internet nicht mehr. Ich war bei der Buchung meiner Flat von einer Dauer von einem Monat ausgegangen, der erst in zwei Tagen enden würde. Die Flat lief aber exakt vier Wochen und diese waren just in diesem Moment um. Zum Glück ist auf meine Mutter Verlass, sie fuhr umgehend los und besorgte mir Guthaben von Alditalk, sodass ich über meine deutsche SIM- Karte wieder Internet aktivieren und alle Dinge regeln konnte.
Angekommen im FlixBus hatte ich nun endlich Ruhe. Ruhe vor einem großen Sturm.

Zeitzone Madrid, Mittwoch, 26.10. (+1h)
Um 6:15 Uhr nach Ortszeit Madrid hielt der FlixBus am Aeropuerto Adolfo Suárez Madrid-Barajas. Bis zu zum Abflug um 10:50 Uhr hatte ich nun genug Zeit. Eigentlich. Viel von ihr verloren ging mir bereits beim Weg zum richtigen Terminal. Der FlixBus hielt am Terminal 4, ich musste zum Terminal 1. Wo liegt das Problem. Darin, dass das Terminal 4 fünf Kilometer entfernt von Terminal 1-3 quasi ein anderer Flughafen ist. Die Ausschilderung für den Shuttle-Bus war schlecht bzw. gar nicht vorhanden. Auch der Wegbeschreibung einer Flughafenmitarbeiterin habe ich es weniger zu verdanken als dem Glück, dass auf meiner Suche nach dem Abfahrtsort ein Shuttle-Bus direkt vor mir hielt. Auf der Busfahrt zum Terminal 1 regte ich mich gemeinsam mit einem Fahrgast über die mangelhaften Ausschilderungen auf. Horst Petersen, ein gebürtiger Mexikaner mit deutschen Wurzeln, wohnhaft in Spanien, lebte auch mal in Südamerika und es gibt eigentlich keine Region der Welt, die er noch nicht gesehen hatte. Es sind diese Random- Begegnungen, die total inspirierend sein können. Horst erzählte mir von seinen Eindrücken aus Südamerika und gab mir sogar den Kontakt eines Freundes, der in Santiago lebt.
Als ich bei Nummer 146 ankam, war bereits eine lange Schlange am Schalter von United Airlines. Noch bevor der Check-In eröffnet wurde, gingen Mitarbeiter die Reihen durch, um die Flugtickets der Passagiere und ihre Reisepässe abzuchecken. Als eine Mitarbeiterin bei mir ankam, wusste ich, was dies bezwecken sollte. Sie hatte weniger Interesse an meinen Dokumenten, die ich vollständig und korrekt vorlegen konnte, als an meinen Plänen für die Reise. Was sich anfangs noch nach interessierten Fragen anhörte, entwickelte sich mehr und mehr zu einem Interview und ich verstand, dass die Mitarbeiter der US- amerikanischen Fluggesellschaft angehalten sind, alle Hintergründe der Passagiere über die Einreise in die USA zu erfragen und mögliche Sicherheitsrisiken für den Flug sowie für die Staaten bereits vor dem Abflug zu eliminieren.
Ich musste detailliert schildern, was genau ich vorhabe, warum ich über die USA reise, ob ich den Transit- Flug nur gebucht habe, um in den USA arbeiten zu gehen und das mit Santiago als Zielflughafen auf den Tickets vertuschen will. Sie wollte wissen, was ich beruflich mache und fragte nach meiner Antwort, dass ich studiere, woher ich denn das Geld habe. Was meine Familie dazu sagt, dass ich solange weg bin.
Ich verstand. Die Tatsache, dass ich als Deutscher aus Madrid über New York und Houston nach Santiago fliege, ohne einen Rückflug vorweisen zu können, ist nicht zwingend eine gute Ausgangslage. Da ich mit den Fragen etwas auf dem falschen Fuß erwischt wurde und mein Englisch zu schlecht ist, um bei der Beantwortung der Fragen einen souveränen Eindruck zu hinterlassen, wurde ich seitens United Airlines als nicht vertrauenswürdig eingestuft.
Nachdem ich schließlich aus der Check-In-Reihe rausgezogen wurde, sah ich 3 Mitarbeiter miteinander diskutieren, ehe eine andere Dame auf mich zukam und mir sagte, dass mir der Flug verwehrt wird. Da ich nun nichts mehr zu verlieren hatte, ließ ich sie meinen Ärger spüren und fragte sie, warum United Airlines dann überhaupt so eine Flugroute ermöglicht. Sie erklärte mir dann aber, dass das entscheidende Problem nicht die Einreise in die USA ist, sondern jene nach Chile. Wie in allen südamerikanischen Ländern haben Touristen eine maximale Aufenthaltsdauer von 90 Tagen, sofern kein Visum vorliegt. Da ich weder ein Visum noch einen Rückflug vorweisen konnte, der beweisen würde, dass ich die 90 Tage nicht überschreite, könnte mir in Chile eine Einreise verwehrt werden.
Ich erklärte ihr dann, dass ich mich darüber informiert habe und das kein Problem sei. Schlussendlich einigte ich mich mit dem Personal darauf, dass das nicht das Problem von United Airlines ist, sondern einzig und allein meins und ich durfte tatsächlich einchecken.
Ich erhielt als Ausdruck des Misstrauens in meine Person ein „SSSS- Ticket“. „Secondary Security Screening Selection“ bedeutete für mich eine zusätzliche, gesonderte Sicherheitskontrolle vorm Boarding.
Als potenzieller Terrorist und Schwarzarbeiter in einem saß ich irgendwann dann endlich im Flugzeug der United Airlines.
Mein erster Langstreckenflug in meinem Leben bot indes wenig Spannendes, ich vertrieb mir die Zeit mit Schlafen und Schreiben.
Achso, das Essen war furchtbar.

Zeitzone New York, Mittwoch, 26.10. (- 5h)
Als ich in New York ankam, ging der Wahnsinn dann in die nächste Runde.
So wie ich mich in dem Verhör am Check-In-Schalter für den Flug qualifizieren musste, so musste ich mich am gesonderten Schalter für die Einreise von Ausländern den Fragen ein weiteres Mal stellen. Im Gegensatz zu dem Flughafen-Personal in Madrid war der Polizist hier relativ entspannt. Vielleicht hat er in seinem Beruf spannendere Sachen erlebt und war nicht so heiß darauf, einem jungen Reisenden Steine in seinen Weg zu legen.
Ich durfte nun also wirklich das Land betreten! Doch die Freude hielt nicht lange an. Auf dem Gepäckband drehten nur noch drei Koffer ihre Runden. Von meinem Rucksack war keine Spur. Panisch lief ich zur Information und ließ über die Tracking- Nummer bei dem zuständigen Personal fragen, ehe ich darauf hingewiesen wurde, dass einige Gepäckstücke bereits runtergenommen wurden. Meinen Rucksack fand ich dann um die Ecke zwischen einigen anderen.
Nach der Ortszeit in New York war es nun 13:30 Uhr, um 7 Uhr morgens ging der nächste Flug nach Houston. Für die Zwischenzeit hatte ich mir ein Airbnb in der Nähe des Flughafens gebucht. Um die Busfahrt bezahlen zu können, musste ich mir US- Dollar besorgen. Nachdem es beim ersten ATM nicht geklappt hat, lebte ich 10 Minuten in der Befürchtung, dass meine Kreditkarte doch nicht weltweit funktioniert, ehe ich bei einem anderen ATM dann erfolgreich Geld abbuchen konnte. Da es der Busfahrerin zu stressig war, meinen 20 Dollar- Schein zu wechseln, durfte ich letztlich umsonst mitfahren.
Meine Unterkunft lag in einem kleinen, ruhigen Teil von des Stadtteils Newark.
Anhand der 50 US- Dollar für eine Nacht für ein Zimmer, dass einer Zelle glich, bekam man ein Gespür für die das teure Leben in der USA. Ursprünglich hatte ich die Idee, die Zeit meines Aufenthalts dazu zu nutzen, etwas von New York zu sehen. Als ich in Unterkunft angekommen war, war diese Idee keine Option mehr. Erstens ist New York einfach viel zu riesig und es wäre mit viel Zeit und Geld verbunden gewesen, zweitens, und das war der Hauptgrund, hatte ich durch den Reisestress keine Energie für einen Sightseeing- Trip. Um ausreichend Puffer einzubauen, wollte ich auch um 1:30 Uhr wieder los zum Flughafen.
Als ich in den Nachtbus einstieg, zahlte ich mit einem 10 Dollarschein, der mir nach meinen Ausgaben fürs Abendessen übrig geblieben war. Erst nachdem ich den Schein in den Ticketautomaten geschoben hatte, wies mich der Busfahrer drauf hin, dass er nicht wechseln kann. So glich sich die kostenlose Busfahrt vom Vortag eben wieder aus.
Am Flughafen lief dieses mal tatsächlich alles reibungslos ab. So kompliziert die Einreise in die USA ist, so unkompliziert ist hier ein Inlandsflug.
Auf dem Flug nach Houston hatte ich aufgrund der Fülle meins Sitznachbars nur einen halben Sitzplatz und ab der Hälfte der Strecke eine nasse Hose. Er hatte seine Limo umgeschmissen.

Zeitzone Houston, Donnerstag, 27.10., (-1h)
Nach knapp 3 1/2h landete ich in Houston, der größten Stadt des Bundesstaates Texas. Hier hatte ich nun einen Aufenthalt für den gesamten Tag, mein dritter und letzter Flug würde am Abend um 20:15 Uhr nach Santiago gehen.
Ich entschied mich, die Zeit einfach am Flughafen zu verweilen. Der Georg Bush Intercontinental Airpot liegt außerhalb vom Stadtzentrum, und ist umzingelt von Highways, die es einem nicht ermöglichten, mal kurz in die Umgebung zu wandern. So blieb ich den Tag über am Flughafen, fuhr ein bisschen mit dem Skyway-Train zwischen den Terminals hin und her, aß bei Subway ein Sandwich, das aufgrund der Kosten in Höhe von 14 US- Dollar für den ganzen Tag reichen musste und nutzte den Rest der Zeit für meinen Blog und zum Spanisch lernen.
Am Abend machte ich mich dann auf dem Weg zum Terminal. In der App von United Airlines wurde ich bei der Angabe des Terminals jedoch verarscht und die falschen Angaben führten dazu, dass ich mit dem Skyway- Train nochmals das Terminal wechseln musste.
Alles andere war aber auch hier unkompliziert, denn mein Gepäck wurde gleich morgens verladen und ich hatte auch mein Board- Ticket bereist erhalten.
Wenig später saß ich also auf dem lang ersehnten Flug nach Chile.

Zeitzone Santiago de Chile, Freitag, 28.10., (+3h)
Dass mir auf diesem Flug ein Fensterplatz zugeteilt wurde, war zugleich Zufall und großes Glück. Nach einer Nacht mit ein wenig Schlaf wurde es in dem Morgenstunden gerade noch rechtzeitig hell. Der Anflug auf Santiago über die Anden war verstärkt durch den Sonnenaufgang über Chile beeindruckend.
Es war jetzt noch ein letzter Schritt zu gehen. Auf dem Weg vom Flugzeug zur Passkontrolle wiesen Schilder mehrfach daraufhin, dass Einreisende über einen QR- Code verschiedenen Angaben zu ihrer Person und ihrem Aufenthalt machen mussten. „Don`t worry about that, you can write it down on a piece of paper later“, sagte mir ein Mitarbeiter. Das piece of paper habe ich bis heute nicht gesehen. Auch so war Einreise nach Chile unproblematisch. Ich musste meinen Reisepass vorzeigen und kurz sagen, was ich in Chile machen möchte. Als ich ehrlich antwortete, dass ich quer durch Südamerika reisen möchte, erhielt ich kommentarlos das Touristenvisum. Es ist wohl der wertvollste Kassenbon der Welt. Ohne ihn ist die Ausreise aus Chile nicht möglich.
Nach drei Tagen und fünf verschiedenen Zeitzonen habe ich es nun also endlich geschafft. Ich weiß nicht, ob ich es rückwirkend wieder so machen würde, aber Fakt ist, dass ich durch den Wahnsinn der letzten 3 Tage erheblich viel Geld gespart habe. Dazu sind es mal wieder wertvolle Erfahrungen gewesen und die Probleme und Herausforderungen, denen ich mich stellen musste, werden helfen, kommende zu lösen.