
Zeitraum: 15.10.22 - 25.10.22
Überm Wasser kreisten die Möwen. Es waren viele. Als würden sie die Ankunft zelebrieren. Vom Deck der Fähre aus ließ sich der Sonnenuntergang über Valencia sehen und ich genoss den Anblick, wie auch die letzten Züge meiner Vape aus Alcudia. Ich spürte in diesem Moment mal wieder eine Mischung aus Vorfreude und Ungewissheit. Aber das Gefühl der Ungewissheit wog dieses mal schwerer.
Bislang hatte ich, wenn auch spontan und kurzfristig, mir immer einen Plan für die nächste Zeit gemacht, hatte Aktivitäten und Aufgaben eingeplant.
Jetzt lag das erste Mal eine Welt vor mir, für die ich eigentlich gar keinen Plan hatte. Von der ich nichtmal weiß, ob sie mir gefällt.
Valencia
„Sieht ja spektakulär aus“, dachte ich und nahm mir die Zeit, die Blitze am Himmel zu begutachten. Sie waren wirklich spektakulär. So spektakulär, dass ich nicht soweit dachte, dass Blitze Ausdruck eines Gewitters sind, das nicht selten mit Regen verbunden ist. Weil das vier Kilometer vom Hafen entfernte Hostel zu Fuß schneller zu erreichen war, als per öffentlicher Verkehrsmittel und ich sowieso noch was essen musste, nahm ich den Weg auf mich. Einen Kilometer vorm Hostel war es dann soweit und es fing an, ganz zu meiner Überraschung, zu regnen. Wobei „Regen“ mir nicht treffend genug ist und die Situation verharmlost. Ebenso wie alle bekannten Synonyme. Ich rettete mich unter einen Baum, zusammen mit meiner Regenjacke bot er etwas Schutz. So stark er anfing, so stark ließ der Regen jedoch auch wenige Minuten später wieder nach.
Es begann nun also das Hostel-Leben. Für mich bedeutete das in vielerlei Hinsicht eine große Umstellung. Ich kam grad frisch aus einem All- Inklusive - Aufenthalt auf Mallorca, war zuvor mehr oder weniger als Trittbrettfahrer unterwegs und hatte im Surfcamp zu Beginn meiner Reise ein Rundum - Sorglos - Paket. Ab jetzt hieß es Mehrbettzimmer und Selbstverpflegung. Und mir war bewusst, dass das nicht nur eine Momentaufnahme ist, sondern fortan zu meinem Lebensstandard gehören würde.
Problem Nummer eins: Ich kann nicht kochen. Wenn ich versuche, das schönzureden, dann sage ich, ich hatte bislang in meinem Leben einfach keinen Spaß und keine Motivation gehabt und erst recht keine Lust, dafür Zeit einzuplanen. Und wenn ich es mal versucht habe, ist meist irgendetwas schiefgegangen. Ich habe vergangenes Jahr mal für mich und meinen Mitbewohner einen Nudel- Hack- Auflauf gemacht und statt vier Knoblauchzehen vier Knoblauchknollen hinzugefügt.
Ich schätze, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte zwischen mangelndem Talent und mangelndem Interesse. Fakt ist, auf Anhieb irgendwelche Gerichte zu zaubern, soweit bin ich einfach noch nicht.
Abgesehen davon haben auch nicht alle Hostels eine Küche. Hab mich aber selbst dabei ertappt, als ich das bei der Suche nach Hostels als Ausrede dankend annahm.
Problem Nummer zwei: Meine Sprachbarriere. Ich sage immer: Ich hatte in der Schule 12 Jahre Englisch, 4 Jahre Latein, 3 Jahre Französisch, 3 Jahre Spanisch und das Einzige, was ich kann, ist Deutsch. Ich bin gerne in Gesellschaft und unterhalte mich gerne mit anderen Menschen und lerne auch gerne neue Menschen kennen. Aber ich war auch auf Deutsch noch nie so der Typ, der offen auf Menschen zugeht, die er nicht kennt. Meistens gucke ich mir alles erstmal an und wenn ich mich in der menschlichen Umgebung wohl fühle, dann komme ich auch gerne aus mir raus. Ich war auch offen und hatte Bock, Menschen kennenzulernen, dachte aber, dass es schwerfallen wird, weil ich in anderen Sprachen unsicher bin.
Mal wieder ein kleiner Spoiler: Problem 1 besteht noch immer. Problem 2 existiert nicht. Ganz im Gegenteil. Gleich bei meiner Ankunft in meinem ersten Hostelzimmer wurde mein Englisch auf die höchste Probe gestellt. In den ersten Gesprächen mit zwei US- Amerikanern und zwei Engländerinnen, wurden mir gleich zwei Dinge bewusst. Zum einen konnte ich mich mit ihnen unterhalten und mir wurde klar, dass es auch nicht darum geht, die Sprache grammatikalisch einwandfrei zu sprechen, sondern dass es eigentlich komplett egal ist, wenn man hier und da irgendwelche Satzbaufehler macht, unbekannte Vokabeln umschreiben muss, dass auch ein schlechtes Englisch reicht, um kommunizieren zu können. Zum anderen wurde mir schnell klar, dass man irgendwie immer ins Gespräch kommt mit den Leuten auf dem Zimmer, sofern man halbwegs offen dafür ist. Die Tatsache, dass man sich ein Zimmer teilt, ist einfach eine erste Gemeinsamkeit, die es oft braucht, damit Menschen miteinander ins Gespräch kommen.
Des Weiteren sind in Hostels selten Menschen, die keine Lust haben, sich zu unterhalten und andere Menschen kennenzulernen. Ich traf in meinen ersten Aufenthalten bereits auf Menschen aus aller Welt und ich merkte, wie interessiert ich auch selbst bin, etwas über andere Lebenswege und andere Geschichten zu hören, mich mit Menschen aus anderen Kulturen auszutauschen. Mit jeder Begegnung, mit jedem Gespräch, lernt man etwas dazu und bekommt ständig andere Perspektiven auf das Leben.
Von Valencia selbst habe ich leider wenig gesehen. Grund dafür im weiteren Verlauf.
Sevilla

„Interrail- wie ich das Geld auf die Gleise warf.“ - So hätte dieser Blogeintrag auch heißen können, jedoch möchte ich den vielen tollen Erlebnissen nicht ein Eigentor als Überschrift geben. Es hatte sich die Idee in meinem Kopf entwickelt und schließlich festgesetzt, dass ich noch im Oktober die Reise nach Südamerika antreten will. Bis dahin wollte ich einfach noch ein bisschen durch Südeuropa reisen. Mir viel auf die Schnelle keine bessere und günstigere Möglichkeit als Interrail ein. Mit einem Global- Pass konnte man an vier Tagen innerhalb eines Monats durch Europa reisen. Die 185€ waren für mich zwar trotzdem teuer, aber ich dachte eben, es wird schon nichts Günstigeres geben.
Was den Bahnverkehr anbelangt, stimmt das auch. Leider hatte ich mich nicht ausreichend informiert. Zum einen waren die Zugverbindungen größtenteils eine Katastrophe und verhinderten eine Flexibilität, da nur die großen Städte mit vernünftigen Verbindungen zu erreichen waren. Zum anderen bieten Busunternehmen, insbesondere Flix-Bus, wesentlich günstigere Angebote, oft bessere Verbindungen und deutlich angenehmere Fahrten. Mein Interrail-Pass war ein Griff ins Klo. Und die Tatsache, dass man für die Schnellzüge verpflichtende Sitzplatzreservierungen buchen musste und somit noch Zusatzkosten anfielen, machten den Griff ins Klo zu einem Volltreffer in die Scheiße.
Die Verbindung Valencia - Sevilla war aber ok, nach vier Stunden Zugfahrt ohne Umsteigen war ich in Sevilla angekommen.
Auf dem Weg zu meinem Hostel traf ich Milan. Ich hatte mir am Bahnhof in Sevilla schon gedacht, dass er mir bekannt vorkam und sprach ihn schließlich bei der nächsten Zufallsbegegnung 10 Minuten später an: „Sorry, you were at the Youth Hostel in Valencia too, right?“ - „Ja, aber du sprichst doch auch Deutsch oder nicht? Ich hab dich gestern telefonieren gehört.“
Was er meinte, war ein Krisengespräch mit meiner Schwester Vicky, nachdem es bei meiner Bachelorarbeit durch ein Konvertieren der Datei von Pages zu Word und von Word zu PDF via Office Suite auf dem Ipad zu einem Formatierungsdesaster kam, einen Tag vor der Abgabe. Durch viel Hilfe und emotionalen Beistand von Vicky, die bis 4 Uhr morgens mit mir eine Skype- Konferenz hielt und am frühen morgen die Bachelorarbeit binden lassen und abgegeben hat, hat am Ende alles noch geklappt.
Am nächsten Tag klapperte ich mit Milan die Sehenswürdigkeiten Sevillas ab. Sevilla hat vieles zu bieten, jedoch auf engem Raum, sodass es nicht viel Zeit braucht, sich die Stadt anzugucken.
Im Hostel selbst lernte ich Gonzalo und Benjamin kennen. Mit meinen noch sehr begrenzten Spanisch- Kenntnissen hörte ich aus Gesprächen heraus, dass sie aus Chile kommen. Seit mein Entschluss für die Reise feststand, dachte ich über zwei Reiseziele nach für den Start in Südamerika. Kolumbien, um die Westküste entlang in den Süden zu reisen oder eben Chile, um mich Richtung Norden hochzuarbeiten.
Gonzalo und Benjamin, die Schulz mit Nachnamen heißen, weil sie, wie viele Chilenen, deutsche Vorfahren haben, haben einen großen Anteil daran, dass meine Wahl mittlerweile auf Chile gefallen ist. Beide leben in Santiago, der Hauptstadt des Landes, in die auch der Flug gehen würde. Bei einem Bier in einer Bar erzählten sie mir von ihrem Leben in Chile, den Besonderheiten des Landes, was ich unbedingt sehen muss, worauf ich aufpassen muss. Gonzalo konnte als strenge Ausnahme unter Südamerikanern Englisch, Benjamin ähnliche Bruchstücke Englisch wie ich Spanisch und was die Kommunikation betrifft, merkte ich auch hier wieder, irgendwie geht es immer.
Encantada de conocerte, amigos!
Lagos

Ich wollte unbedingt weiter an die Algarve in den Süden Portugals. Es war der Zeitpunkt, an dem ich eine Bahnverbindung nach Faro oder Lagos suchte, als ich die Erkenntnisse über meine Intarrail - Buchung bekam. Die vorgeschlagene Verbindung hätte 25h und 13 Minuten gedauert, mit einer Fahrt über Madrid und Lissabon inklusive sechsmal umsteigen und einem Zwischenaufenthalt von 6h. Plus Kosten für die Sitzplatzreservierung natürlich. Da entschied ich mich doch lieber für den Flix-Bus, der mit seinen 12€ fast genauso viel kostete wie die Sitzplatzreservierung in der Bahn.
An der Bushaltestelle kam ich mit Malena und Marcus ins Gespräch, als ich mich vergewissern wollte, ob ich von den 45 Haltestellen des Busbahnhofs an der richtigen stehe. Beide kommen aus Karlsruhe und sind per Interrail auf Europatour. Ich merkte bereits bei der Begegnung mit Milan, wie auch im Hostel in Sevilla, als an meinem letzten Tag zwei Studentinnen aus Passau in mein Zimmer dazu stießen, dass es zur Abwechslung sehr guttut, auf Deutsche zu treffen. Fernab von zuhause in einem fremden Land fühlt es sich einfach automatisch wie ein Stück Heimat an. Und so war es auch mit Malena und Marcus auf der vierstündigen Busfahrt nach Lagos.
Bei der Unterkunftssuche hatte ich zwei Bedingungen.
Die letzten Tage erforderten durch das viele Reisen und die vielen neuen Eindrücke viel Energie und die Nächte mit sieben Zimmernachbarn ermöglichen einem nicht immer ausreichend Erholung. Die Leute kommen abends/ nachts zu unterschiedlichsten Zeiten ins Zimmer und morgens klingeln im Stundentakt die einzelnen Wecker, dazu gibt es eigentlich immer einen, der schnarcht. Wenn ich es nicht doch geträumt habe, wackelten in Valencia sogar die Wände. Ich wollte daher in Lagos für zwei Nächte ein Einzelzimmer haben, dazu suchte ich eine Unterkunft mit Waschmaschine. Beides in einem bekam ich in einem Apartment, dass ich mir mit anderen Leuten teilte.
Ich wohnte hier zusammen mit Julia und Alex aus Russland. Beide verließen zum gleichen Zeitpunkt wie ich ihre Heimat. Nur könnten die Gründe unterschiedlicher nicht sein. Während ich meine Heimat verlasse, um die Welt zu bereisen, sind Julia und Alex aus Russland ausgewandert, um sich woanders ein neues Leben aufzubauen. Was beim Ukraine-Krieg kaum thematisiert wird, ist der Zustand in der russischen Gesellschaft. Dass der Krieg nur von einer Person geführt wird und die russische Bevölkerung von dieser Person unterdrückt wird, ist einem zwar irgendwie bewusst. Die Zeit mit Julia und Alex aber verhalf mir, das zu begreifen. Sie erzählten mir davon, dass sämtliche soziale Netzwerke gesperrt wurden und die Menschen nur über VPN unbeeinflusste Eindrücke aus der Welt bekommen können. Dass Menschen verhaftet werden, die sich auch nur irgendwie anmerken lassen, dass sie die politische Ausrichtung ihres Landes nicht teilen, dass Menschen gezwungen sind, in einen Krieg zu ziehen, den sie selbst gar nicht führen wollen.
Und wenn dann ein junges Paar, 24 und 23 Jahre alt, sich dazu entscheidet, seine eigene Heimat zu verlassen, weil es sich mit dem, was seit Beginn dieses Jahres passiert, nicht identifizieren kann und den Menschen ihre Freiheit genommen wird , dann sagt das vieles aus.
Vor allem aber sagt es aus, dass diese beiden Menschen unglaublich viel Mut haben. Während Julia als Englisch- Lehrerin online Unterrichtsstunden gibt, arbeitet Alex als Jugendtrainer für einen portugiesischen Drittligisten in Lagos.
Beide bauen sich ein neues Leben auf, immer begleitet mit der Hoffnung, dass sich die Situation in Russland ändert und sie eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Und da ich weiß, dass Julia ein bisschen Deutsch versteht und das hier lesen kann: Ich wünsche euch beiden alles Gute, viel Kraft und Geduld für einen tollen neuen Lebensabschnitt und ich freue mich, wenn wir uns eines Tages wiedersehen ❤️
Lisboa

Auch, wenn mich das schlechte Wetter aus den letzten Tagen bis hierhin verfolgte, wusste ich die Bezeichnung Lissabons als „Stadt des Lichts“ am ersten Tag im übertragenden Sinne zu verstehen.
Bereits in Sevilla entdeckte ich das „Sightrunning“. Um Geld zu sparen und sportlich aktiv zu bleiben, verband ich das Sightseeing einfach mit Laufen. In Lissabon lief ich zur Padrao dos Decombrimentos und zum Torre de Belém und verliebte mich trotz aller Anstrengung bereits auf den 7km hin und zurück in diese Stadt. Als ich abends mit einem Bier am Hafen saß, war ein bisschen Wehmut in mir.
Ich hatte einen Flug gebucht, morgen Abend würde die Reise weitergehen nach Madrid zum Flughafen. Noch bevor ich mich auf Lissabon und die ersten Eindrücke einlassen konnte, würde ich die Stadt also wieder verlassen. Als ich am nächsten Tag per E-Roller weitere Orte entdeckte, verstärkte sich das Gefühl. Und als ich am Estadio da Luz ankam, an dem der Andrang der Fans von Benfica bereist groß war und eine Atmosphäre der Vorfreude auf das Champions- Leauge- Spiel am Abend gegen Juventus Turin über den Menschen lag, wusste ich, dass ich in diese Stadt eines Tages einmal zurückkehren werde.
Dennoch bereue ich meine Entscheidung nicht, denn ich habe Bock auf mehr. Ich bin nun den nächsten Schritt gegangen. Warum dieser Schritt aus vielen einzelnen bestand und wie genau diese aussahen, wird meinem nächsten Beitrag zu entnehmen sein.
Aber vielleicht waren die wenigen Tage seit Mallorca bereits die wichtigsten Schritte. Es werden noch schwierigere kommen, davon gehe ich aus. Aber für alles, was folgt, haben diese einen besonderen Wert.