3) Die Ferieninsel

Zeitraum: 22.9.22 - 15.10.22

 

Ich bin nicht 25. Ich bin 18 mit 7 Jahren Erfahrung. 

Im Original stand auf dem T- Shirt, das im Eingangsbereich eines kleinen Ladens an einem Bügel baumelte, statt der 25 eine 45 und statt der 7 eine 27. 

Aber der Grundgedanke war in vielerlei Hinsicht treffend für meine ersten Tage auf Mallorca und die Tatsache, dass ich mir zunächst ein Hotel in El Arenal buchte. 

 

Der Weg nach Mallorca führte für mich übers Wasser. Von Barcelona aus gibt es eine Fährverbindung, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass die Fähre über Nacht fährt und ich so Transportmittel und Unterkunft zugleich bekam, war der Preis von 40€ durchaus ein Schnäppchen. Immerhin dauerte die Überfahrt sieben Stunden, von 23 Uhr bis 6 Uhr am nächsten Morgen. 

Es war ein schwieriges Unterfangen gewesen, überhaupt auf die Fähre zu kommen, das ich gemeinsam mit der Hilfe von Kathi und Jan unter viel Stress und Zweifel am Ende glücklich meisterte. Zu desaströs waren die Informationen der Organisation „directferries“ gewesen. Die Ortsangabe des Fährhafens, der laut angegebener Adresse irgendwo im Innenland Barcelonas liegen sollte, ebenso wie die mangelhafte Angabe, wo denn jetzt genau das Terminal für die Fährgesellschaft „GNV“ am Fährhafen, der in Barcelona wie ein Flughafen aufgezogen ist, zu finden war.

 

Ich mag Fährfahrten. Wenn das Schiff auf den Horizont zusteuert und um einen herum nichts weiter ist, als der weite Ozean. Nur konnte man von alledem natürlich wenig sehen, die Fähre startete im Dunkeln aus Barcelona und erreichte im Dunkeln den Fährhafen Mallorcas. In jener Nacht, die ich an Deck verbrachte, ließ sich außerhalb des Schiffes allenfalls in regelmäßigen Abständen etwas sehen. In der Ferne schien ein Unwetter über das Mittelmeer zu fegen und die Blitze erhellten für Millisekunden immer wieder schlagartig den Horizont. 

 

El Arenal 

 

In Port de Palma angekommen stand ich vor einem existenziellen Problem. Mein Kombipaket von Aldi Talk war abgelaufen. Aus meiner Recherche am Vortag wusste ich, meine Unterkunft würde 20 km vom Hafen entfernt liegen, nur wie sollte ich sie finden und vor allem, wie kam ich dahin? Am Plan der Bushaltestelle am Hafen war El Arenal nicht zu finden. Es sind die Probleme, die sich auftun für jemanden wie mich, der in eine Generation hineingeboren wurde, die ohne Internet sich nicht zu helfen weiß. Aber nun ging es nicht anders. Und vielleicht war das auch mal gut so. Unlängst hatte ich beschlossen, alle aufkommenden Probleme und Hindernisse als Challenge zu betrachten. Ganz im Bewusstsein, dass auf mich vermutlich noch größere Challenges, als am Ballermann sein Hotel zu finden, warten würden, machte ich mich also auf den Weg und suchte die nächste Bushaltestelle auf. Ein Busfahrer erklärte mir eine mögliche Option, nach El Árenal zu kommen. Auf der Fahrt zur Zwischenstationen „Plaça d´Espanya“, einer Art Hauptbahnhof in Palma de Mallorca, musste ich feststellen, dass ich mit meinem Backpacker- Rucksack auf der Suche nach meinem Hotel mitten im Mallorcanischen Berufsverkehr gelandet war. 

Und ich verzweifelte, als ich an der Placa d´Espanya die Bus- Linie 504 vergeblich suchte. Mit der 504 gab es eine Direktverbindung nach El Arenal, aber es gab hier keine 504. Auf keinem der 100 Fahrpläne an den Bushaltestellen, auf keinem der 1000en Busse, die die Haltestellen wie eine Ameisenkollone anfuhren, war eine 504 zu lesen. 

Der Gang die Treppen herunter zur U-Bahn, um mir am Bahnhofskiosk eine Cola zu ziehen, zeigte mir schließlich den Weg. „Transports de les Illes Balears“, zu kurz TIB ist der Oberbegriff für ein Verkehrsmittelnetz auf der Insel. Ihm zugehörig sind auch die TIB- Busse, die an der Placa d´Espanya wie die U- Bahn im Untergrund starten. 

 

Ich hatte mehrere mir selbst gesteckte Ziele für den Aufenthalt auf Mallorca. Das übergeordnete Ziel, hier meine Bachelorarbeit fertigzustellen, war der eigentliche Grund gewesen, auf die Insel zu fahren. Nachdem ich Wochen zuvor mein Ziel verfehlte, sie vor meiner Abreise fertigzustellen, fühlte ich, dass ich einen Ort brauche, an den ich reise, nur um mich um die Bachelorarbeit zu kümmern, von dem ich auch erst wieder weggehen würde, wenn sie fertig ist. Eine Insel schien mir als eine gute Voraussetzung. Denn so leicht kam man von hier nicht weg. In meinen Gedanken setzte ich Mallorca mit meiner Bachelorarbeit in Verbindung. Und es wurde so vieles mehr. 

 

Kleiner Spoiler: In El Arenal wurde die Bachelorarbeit nicht fertig. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich in den vier Tagen eigentlich kaum mit ihr beschäftigt. Ich hatte den Ballermann vor der Tür, kein Wunder, dass das hier nichts wird. Doch das wäre als Erklärung zu einfach. Wie es sich für diesen Ort gehört, habe ich mir zwar auch mal ein paar Kanonen ins Esszimmer geschossen und mir abends im Bierkönig die Muttersprache abtrainiert. Aber der Großteil der Wahrheit lag eher in meiner eigenen Faulheit. Bzw. in meiner hohen Gabe für Selbstbetrug. 

Fleißig war ich hier dafür in meinen anderen Zielen, die da hießen: Sport machen, Blog- Artikel verfassen, Spanisch lernen. Immerhin. 

 

Cala Ratjada - Alcúdia - Cap Formentor - Sollér

 

Was die kommenden Tage angeht, stand es um meine Bachelorarbeit nicht wirklich besser. Es ist das dritte Mal, dass ich auf Mallorca bin. Und ich hatte mir geschworen, dieses Mal mehr von der Insel zu sehen, als seine eingedeutschte Partymeile. Und so mietete ich mir kurzerhand ein Auto. Über Check24 ließ sich eine Vielzahl guter und wirklich preiswerter Angebote finden. Da ich in kurzer und bezahlbarer Zeit möglichst viel von der Insel sehen, gleichzeitig maximal flexibel bleiben wollte, entschied ich, dass das Auto für die Zeit auch gleichzeitig meine Unterkunft sein würde. Die Wahl fiel letztlich auf einen Ford Kuga, geräumig genug, per umgeklappter Rückbank im Kofferraum schlafen zu können und für einen Preis von 95€ für drei Tage ein sehr feines Angebot. 

 

 

Meine Motivation hieß für die nächsten Tage nun: So viel wie möglich sehen, so wenig weiteres Geld wie möglich ausgeben und nach Möglichkeit am Ende die Karre zu Schrott fahren, damit sich das in den Vollkaskoschutz investierte Geld auch rentiert. Wenn auch unfreiwillig ist mir letzteres sogar fast gelungen. 

 

Ich hatte nach wie vor Bock auf Wasser, daher entschied ich mich für eine Insel- Rundreise, bei der die Zwischenstopps Küstenorte sein würden. Über die App „Park4Night“ ließen sich super idyllische Stellplätze finden. 

In Cala Ratjada verbrachte ich den Abend und die Nacht in einer kleinen Bucht, in Alcudia am Strand und in Soller auf einem Aussichtspunkt mit Blick aufs Meer und die Bucht der kleinen Stadt im Westen der Insel. 

 

Als kleine Ergänzung sei meine Meinung erwähnt, dass Mallorca eine unglaublich schöne Insel ist. Und wer sich in der Frage „Meer oder Berge?“ nicht entscheiden kann, der ist auf Mallorca bestens aufgehoben. 

 

Port d´Alcúdia 

 

Während des Roadtrips hielt ich Ausschau nach einem Ort, an dem ich dann aber wirklich meine Bachelorarbeit zu Ende bringen würde. 

Wenn ich mich an einem Ort wohl fühlte, dann konnte ich eigentlich noch nie wirklich gut beschreiben, warum eigentlich. Weil es für mich auch keine klaren Kriterien gibt, die erfüllt sein müssen, sondern weil es einfach ein Gefühl ist. Jedenfalls war so ein Ort für mich Port d´ Alcudia ganz im Norden der Insel. Hier wohnte ich nach zweifacher Verlängerung letztlich für zwei Wochen. Noch einmal musste ich tiefer in die Tasche greifen, denn eine Bachelorarbeit lässt sich nicht in einem Mehrbettzimmer eines Hostels schreiben. Wenn man in der Nebensaison auf eine vom Tourismus abhängige Insel zieht und nach Last- Minute- Angeboten sucht, dann kann man sich über das Preis- Leistungsverhältnis zumindest jedoch nicht beschweren. Ich wohnte hier für 60€ die Nacht, das jedoch per All- Inklusive mit 3 Mahlzeiten am Tag mit wirklich gutem Essen, Getränken in breitester  Auswahl und einem Hotelgelände in idyllischer Lage an einem See 200 Meter vom Mittelmeer entfernt. 

Es entspricht mit Nichten meinem eingeplanten Reisestil und ohne das Pflichtbewusstsein, die Bachelorarbeit fertigzustellen, wäre ich weder hier noch vermutlich überhaupt auf Mallorca gelandet. Unter dem Vorwand jedoch genoss ich die Zeit. Vor dem Start meiner Reise war ich mit einer Ausnahme von fünf Tagen Schwarzwald im Frühjahr dieses Jahres seit drei Jahren nicht im Urlaub gewesen. Es war ein Ort zum Abschalten. Und so beschreibe ich ihn, obwohl ich hier eigentlich gar nicht wirklich Urlaub gemacht habe. 

Meine Tage hatten hier eine klare Struktur, in sich wechselnder Reihenfolge stand jeden Tag Spanisch Lernen, Bachelorarbeit und Sport auf dem Programm. Aber ich habe die Arbeit hier nicht gespürt. Die Bedingungen gaben es her, sich mit dem Ipad in eine Liege am Strand zu legen, sich an die Poolbar zu setzen oder abends im Showgarten des Hotels zu arbeiten. Für meine Bachelorarbeit zum Thema „Depressionen im Profifußball“ hörte ich mir bei stundenlangen Spaziergängen am Strand die Biografien von Sebastian Deisler und Robert Enke an und arbeitete meine weitere Literatur durch zu einer Volkskrankheit als Tabuthema, die noch immer mit Mühe totgeschwiegen wird und dadurch in unseren Köpfen leben kann. 

Natürlich lief auch nicht alles rund und ich saß auch nicht jeden Tag strahlend vorm Ipad. Im All- Inklusive enthalten war u.a. auch eine Schreibblockade und einmal hatte ich so die Schnauze voll, dass ich beim Joggen 20 km vor der Bachelorarbeit weggelaufen bin. 

 

Es nahm jedoch alles ein gutes Ende, die Bachelorarbeit ist fertig und ich darf die Insel nun verlassen. 3 Wochen waren nun vergangen, seitdem ich die Insel betreten hatte. Rückblickend bliebt zu erwähnen, dass diese Tage für mich und meine Reise einen weiteren, ganz besonderen Wert hatten. Ich war fernab von zuhause nicht nur gezwungen, mich mit der Arbeit auseinanderzusetzen, sondern vor allem mit mir selbst. Abgesehen von ein paar Telefonaten in die Heimat, hatte ich hier keinen Kontakt zu anderen Menschen. Ich lernte in dieser Zeit, ganz mit mir alleine zurechtzukommen, nach getaner Arbeit auf meine Bedürfnisse zu hören, ihnen Raum zu geben. Ich hatte keine festen Termine, keine Kompromisse, die ich eingehen musste. Jeden Tag konnte ich so gestalten, wie ich wollte und ich lernte, was das für einen Wert hat. So nahm ich mir jeden Tag ein Stück meiner Angst vor dem Alleinreisen und den kommenden Monaten. 

Auch wenn der Aufenthalt auf Mallorca somit wirklich in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg war, muss ich der Wahrheit ins Gesicht blicken und einsehen, dass ich hier trotz wirklich guter Angebote im Preis- Leistungsverhältnis finanziell betrachtet über meinen eingeplanten Verhältnissen gelebt habe und ich mich nun von nicht nur von der Insel, sondern auch von meinem Lebensstandard auf Mallorca verabschieden muss. 

 

Für mich heißt es nun „weiter gehts“. 

Aktuell sitze ich wieder an Deck einer Fähre. Und dieses Mal lässt sich vieles sehen. Ganz ohne Unwetter bei strahlendem Sonnenschein.