Ich saß im Zug nach Osnabrück, als dieser an einem Bahnhof anhielt und der Lokführer per Durchsage darüber informierte, dass die Fahrt aufgrund eines medizinischen Notfalls unterbrochen werden musste.
Ich schob mir meine AirPods ins Ohr und ließ „on Repeat“ auf Spotify laufen. „Der Zug hat keine Bremse“ lief bis zum Ende durch als ich merkte, dass angesichts der sehr wohl funktionierenden Bremsen dieses Zuges der Inhalt des Liedes nicht treffend, und angesichts der Situation um den medizinischen Notfall auch sehr geschmacklos erschien. Als der Lokführer Entwarnung gab und die Fahrt weitergehen konnte, entschied ich mich für „Das ganz große Glück im Zug nach Osnabrück“. Glück fand ich auf diesem Weg jedoch nicht, so verpasste ich durch die Verzögerungen doch meinen nächsten Anschlusszug.
So vielversprechend der Tag meiner Abreise begann, so nervenberaubend ging er ab diesem Zeitpunkt weiter.
Ich war auf dem Weg nach Köln, es war der 31.8. und ich nutzte den letzten Tag des 9€- Tickets.
Mit diesem smarten Gedanken war ich jedoch nicht alleine und so wurde die Fahrt nach Köln zu einer ersten Hürde. Vier mal Umsteigen mit Wartezeiten bescherten mir einen 8h- Trip, bei dem ich in maßlos überfüllten Zügen jedes mal aufs Neue vergeblich auf einen Sitzplatz hoffte und so jede einzelne Fahrt zu einer Nervenprobe wurde. Schließlich hatte ich ja meinen gefüllten Backpacker- Rucksack sowie ein Handgepäck dabei.
Angekommen in Köln folgte noch ein kleiner Fußmarsch zu meiner ersten Unterkunft durch die Kölner Altstadt. Über booking.com erwische ich 2 Tage zuvor noch einen Schnapper und buchte mir für zwei Nächte ein günstiges Hotelzimmer. Vllt dennoch etwas naiv, gleich so loszulegen. Aber ich gönnte es mir bewusst. Denn ich musste in Köln noch ein paar letzte Besorgungen für die Reise machen und war so nah an der Innenstadt und konnte auf funktionierendes WLAN setzen, das ich u.a. für die Erstellung des Blogs brauchte. Vor allem aber gab mir die Unterkunft noch einmal einen ruhigen Rückzugsort, um mich auch gedanklich etwas auf alles einzustellen.
Bevor ich am nächsten Morgen in die Schildergasse loszog, checkte ich die Packliste. Scheiße. Das fehlt. Scheiße. Das fehlt auch. Scheiße. Das auch.
Ich hatte keinen Teller, kein Besteck, keine Tasse, keinen Becher, keine Sonnencreme, kein Bettlaken, keine Lunchbox, kein Klopapier. Perfekt.
Vielleicht hätte ich die Liste mal zu Hause angucken sollen.
Es war die Packliste für ein Surfcamp in Frankreich. Wie könnte eine Reise, die ich schon immer mal machen wollte, starten? Am besten mit etwas, was ich schon immer mal machen wollte, war meine simple Antwort auf die Frage, die ich mir 3 Wochen vor Reisebeginn stellte.
Neel Clar, ein begnadeter Fußballer, den ich jahrelang trainierte, gab mir als begnadeter Surfer den Tipp, einen Kurs bei der Organisation „Wellenreiter“ zu machen, wo er selbst als Teamer arbeitet. Zu meinem Unglück waren an allen Standorten alle Kurse für das Jahr bereits ausgebucht. Zu meinem Glück aber wurde in der Sekunde meines Anrufs bei Wellenreiter in der Hoffnung auf eine Nachrückerliste ein Platz frei, den ich natürlich sofort nahm. So wusste ich, dass meine Reise im Surfcamp Cap de l´homy an der südfranzösischen Atlantikküste beginnen würde.
Ich hatte in meinen 1 1/2 Tagen in Köln nun also viel Stress. Nicht ganz so viel Stress, wie in den 30 Minuten am Morgen des Abreisetages, als ich meinen Rucksack mit fleißiger und rettender Hilfe meiner Schwester Vicky packte. Aber trotzdem viel Stress. Bei Galeria Kaufhof, Rossmann und in irgendeinem Küchengeschäft sammelte ich mir die fehlenden Dinge fürs Surfcamp zusammen.
Darüber hinaus brauchte ich für meine Reise noch Adiletten, Mikrofaserhandtücher und eine vernünftige Badehose. Als ich alles beisammen hatte, kümmerte ich mich am Abend um die Erstellung dieses Blogs und den ersten Eintrag und ließ den Abend am Kölner Rheinufer ausklingen.
Am nächsten Tag fuhr ich dann mit der Bahn zum Flughafen Köln/ Bonn. Von hier aus würde der „Wellenreiter- Bus“ in Richtung Cap de l´homy abfahren.
In der zweistündigen Wartezeit auf den verspäteten Bus freundete ich mich mit ein paar Lehramtsstudenten aus Potsdam, München und Köln an, ehe wir bei der Busankunft feststellten, dass der Bus verschiedene Camps anfährt und wir leider nicht im selben Camp sein sollten. Schade, aber so war die Wartezeit sowie die Busfahrt ganz unterhaltsam. Gegen 0:00 Uhr wurde der Reisebus zu einem Schlafbus, unsere Ankunftszeit lag bei 8:30 Uhr am nächsten Morgen.
Cap de l´homy - Frankreich

Auf die richtige Welle warten. Sich bewusst für eine entscheiden, das Board richten, mit Schwung die Welle nehmen, die richtige Position auf dem Board finden, für eine stabile Gleitphase sorgen, den Take-Off zügig, aber ohne Hektik durchführen, Blickrichtung nach vorne, Arme ausgestreckt, Knie gebeugt. Rücken gerade, das Gewicht verlagern, die Bewegungen ausgleichen.
Es muss vieles passen, damit das Surfen funktionieren kann. Und erst, wenn alles zu einem Automatismus wird, wird es auch wirklich funktionieren. Ich hatte eine sehr niedrige Frustrationstoleranz und wurde die Woche über immer wieder mit meiner eigenen Ungeduld konfrontiert. Sehr ungünstige Voraussetzungen für diesen Sport.
Zum Glück steht meine große Ungeduld in den meisten Fällen in einem engem Verhältnis zu einem großen Ehrgeiz und so schaffte auch ich es, am Ende der Woche einige Erfolgserlebnisse auf dem Surfboard feiern zu können.
Im Anfängerkurs ging es darum, die Grundlagen des Surfens zu lernen und im besten Falle am Ende der Woche Weißwasserwellen surfen zu können. Dazu gab es Theorieeinheiten und extra Aufstehtraining sowie eine Videoanalyse. Alles in einem war ein professionell durchgeführtes Programm geboten und ich konnte in dieser Woche vieles über das Surfen lernen und mehr als einen kleinen Einblick in diesen Wassersport gewinnen. Zu verdanken habe ich das dem Trainer Kris sowie den Teamerinnen Jana und Greta, deren Fachkenntnisse sowie ihre Begeisterung und Geduld auf einem sehr hohen Level waren.
Über allem stand in dieser Woche natürlich der Spaßfaktor. Auch wenn die Wassereinheiten oft frustrierend waren, machte es dennoch unglaublich viel Spaß. Ich liebe das Meer und insbesondere den Atlantik mit seinen Wellen. Seit Jahren hatte ich immer wieder vor, einen Surfkurs zu belegen. Ich bin zwar noch ein absoluter Amateur, aber sehr froh, diese Tür aufgestoßen zu haben.
Aber selbst, wenn das Surfen mir keinerlei Spaß bereitet hätte, hätte ich diese Woche mit Sicherheit in sehr guter Erinnerung behalten. Grund dafür sind die Menschen, die ich im Camp kennengelernt habe.
Ich traf hier u.a. auf Studenten aus den Fachbereichen Lehramt, Sonderpädagogik, sozialer Arbeit, Medien- und Kulturwissenschaft, Architektur, physikalischer Ingenieurwissenschaft sowie aus dem IT- Bereich.
Ich schaute mit Jungs einer Studienfahrtsklasse im Camp das Samstag- Abend- Topspiel der Bundesliga und spielte mit den Lehrern Phillip & Phillip das Kartenspiel „Arschloch“.
Ich zog mit Janni als „Team Tropical“ ins Halbfinale des großen Nasi Goreng- Turniers ein, teilte mir mit Lara in einer fulminanten und farbenblinden Wizzard- Runde den letzten Platz und philosophierte mit Lioba über die Gefühle der Gegebenheiten unseres Alters und des Älter- Werdens.
Es gab unterhaltsame und absolut unnötige Frühstückskonversationen über Gewitterenten mit Tobias, Niels und Leo.
Leo, der das Surfen ohne Übung auf Anhieb hinbekam, aber Hunde nicht von Hasen unterscheiden konnte. Der mein Zeltnachbar war, gemeinsam mit seiner Freundin Lena, die am Ballermann aufwuchs und beim Volleyballspielen am liebsten im Sand liegt.
Danke an dieser Stelle an Janine, die mir bei der Bearbeitung meines Blogs half und an Onia und Zoe, die mir aufschlussreiche Tipps aus ihrem 6- Monate- Aufenthalt in Kolumbien gaben.
Ich traf auf Maria, mit der ich stressige Situationen beim Frühstück meisterte und ihre Cousine Marie, die mich auf 32 Jahre schätzte.
Hannah, die uns mit ihren sicheren Französichkenntnissen einen sicheren Fahrrad- Verleih und unsichere Tandemfahrten ermöglichte und Pia, die auf sympathische, mit Sicherheit aber auch schmerzhafte Arte und Weise in jede Situation buchstäblich hineinstolperte.
Dann gab es noch die beiden Schüler Blia und Paul. Blia, mit der ich interessante Gespräche über das Schulsystem führte und in deren Schullaufbahn ich meine eigene wiedererkannte.
Der 16- Jährigen Paul, das Wunderkind aus dem Camp, der das Sommermärchen 2006 nicht miterlebte. Dem ich meine persönliche Bestzeit von 29:00 Minuten auf 6km verdanke. Den ich dafür liebe und gleichzeitig hasse.
Vergessen werde ich natürlich nicht Martin, den Schrecken aller Vegetarier und Endgegner aller Veganer, der spätestens mit seinen Dutch- Oven- Stories alle sprachlos machte, selbst aber niemals sprachlos zu bekommen war.
Vielleicht mit einer Ausnahme seiner Freundin Marit. Sie beide waren die ersten, mit denen ich im Camp Bekanntschaft machte und wenig später Freundschaft schloss.
Zu guter letzt sei meine Zelt- Partnerin Denise erwähnt, mit der ich eine humorvolle, harmonische und problemfreie Zelt- WG führte. Die nur durch eine vom Timing falsch platzierte Beichte die Harmonie kurzzeitig ins Wanken brachte. Bei der Auswahl der Zelte zu Beginn der Woche entdeckte sie in ihrem Zeltabteil eine größere Spinne. Denise wechselte das Abteil in unserem Zelt, bevor ich einzog. Sechs Tage und sechs Nächte, in denen mir Denise nichts von ihr erzählte, verbrachte ich dann mit der Spinne, ehe ich sie am letzten Tage fand und Denise mich aufklärte.
Mit unserer WG- Party am letzten Abend brachten wir die Harmonie wieder dann wieder ins Gleichgewicht, krönten zugleich unsere WG- Zeit sowie die Camp- Zeit mit allen anderen zusammen und ließen die Woche angemessen ausklingen.
Ein schöner Start in eine ungewisse Zeit, der mir bereits ein Stück Gewissheit brachte.